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Concrete and Culture - Beton

Beton…das war doch das Zeug, in dem die Mafia ihre Gegner eingießt, ehe sie sie ins Meer versenken. Ja, richtig. Aber Beton ist weit vielseitiger! Und um zu begreifen, was Beton für die Entwicklung der Architektur, mehr noch: der Kultur bedeutet, sollte man das gelungene Buch des englischen Architekturhistorikers Andrew Forty lesen. Ihm gelingt es, in zehn sehr gut erzählten Kapiteln den Horizont einer Materialgeschichte abzustecken: analytisch-genau, witzig, kritisch. Es ist ein Buch, dessen hohes Reflexionsniveau dem Leser nicht zur Belastung, sondern zur Bereicherung gerät. Denn Forty breitet seine Gedanken auf mitreißende Art aus: lesbar, spannend, aktuell, unkompliziert. Kurzum: eine Empfehlung.
Gleichwohl dürfen ein paar Details hinterhergeschoben werden, damit diese Empfehlung nicht als Behauptung im Raum steht. Im Gegensatz zu einer chronologischen Materialgeschichte (auf welche sich der Autor beziehen kann, da sie schon existiert) geht Forty thematisch vor. Gleich zu Beginn gibt er zu, sich selbst gewünscht zu haben, weniger architekturimmanente Probleme verhandeln zu müssen, als solche eher allgemein-kultureller Art. Dass er in diesem Buch beides tut, sich genauso der Frage nähert, wie Beton die Gestalt der Architektur verändert hat, wie etwa die Gestaltung der Arbeit (durch die Industrialisierung des Bauwesens, die Verlagerung der Herstellung weg von der Baustelle in die Fabriken, die Beschäftigung ungelernter Arbeiter, die nicht gewerkschaftlich organisiert und tarifrechtlich gebunden waren) – genau dies macht seine Stärke aus. „Concrete and Culture“ ist eine Architekturgeschichte des Betons, und so eine Parallelerzählung der Innovation in der Architektur des 20. Jahrhunderts. Aber damit verknüpft eben auch eine Geschichte der sozialen und politischen Konsequenzen dieser Innovation.
Die Verquickung der Ebenen, die Forty exemplarisch, mustergültig und – man darf es ruhig sagen – bravourös gelingt, sollte eigentlich Maßstäbe setzen für das Nachdenken über Kunst und Kultur überhaupt. Denn der Autor, selbst Hochschullehrer und daher im Kommunizieren über ein Thema geübt, nimmt sich nicht nur Zeit, um seine Argumente auszubreiten. Er ist sogar so frei und nonchalant, Fragen anzusprechen, die ihm wichtig sind, die er aber selbst nicht erschöpfend beantworten kann. Er schreitet sie aus, soweit es ihm möglich ist. Dann übergibt er die Staffel an den Leser, das Thema weiterzudenken. Insofern kann man dem Autor auch nicht böse sein, dass Erich Mendelsohns Einsteinturm oder die gesamte Entwicklung der niederländischen Architektur im 20. Jahrhundert fehlen, dass er dafür aber – wie er selbst schreibt, aus persönlichen Gründen – einen starken, allzu starken Fokus auf die Bauten der italienischen Nachkriegszeit legt. Es muss in einer solchen Kritik darum gehen, wie Forty vorführt, was Kulturgeschichtsschreibung leisten kann. Und das tut er auf so schöne Weise, dass man es sich schlichtweg selbst zum Vorbild nehmen möchte.

15.02.2013
Christian Welzbacher
Adrian Forty: Concrete and Culture. A Material History.
336 p. 127 ill. £ 23,76
http://press.uchicago.edu/ucp/books/book/distributed/C/bo13232846.html
ISBN 978-1-86189-897-5
 
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