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Le Corbusier. BĂ©ton brut and Ieffable Space, 1940-1965

Sich Le Corbusier auf neuartige Weise zu nähern ist angesichts der Literaturflut zu diesem Klassiker der Moderne schwer möglich. Und doch ist es dem Autorendoppel Gargiani-Rosellini gelungen. Die beiden Architekturhistoriker – an der Uni Venedig bzw. Florenz beheimatet – haben sich nämlich erstmals Corbusiers großem Werkkomplex der Nachkriegszeit auf dem Weg der „Materialikonographie“ genähert. Das erscheint sinnvoll und plausibel, denn seit 1940 beschäftigte sich Corbusier mit dem Beton als Baumaterial, und dies nicht allein in konstruktiver, sondern auch in ästhetischer Hinsicht. Das hat Konsequenzen für das Werk eines Architekten, der mit weißen und farbigen Häusern berühmt geworden ist: seine Bauten sind von nun an grau in allen Schattierungen und rau in allen Nuancen. Muster von Schalungsbrettern, Rödellöcher, Waschbeton, Spritzbeton, gefärbter Beton und Beimischungen – dies und mehr sind die Tricks, derer sich Corbusier bediente. Und man folgt den Autoren gespannt bei der Entwicklung dieser Oberflächenästhetik, bei der nichts (oder: fast nichts) dem Zufall überlassen blieb.
Es ist das große Verdienst dieser gewichtigen Studie – übrigens reich illustriert, wobei manche Abbildungen durchaus hätten größer ausfallen können –, Corbusiers Behandlung der Oberflächen in einen größeren Zusammenhang mit der Kunst der Zeit zu stellen. Dabei sind es gleich fünf Ebenen, die relevant erscheinen. Erstens: die Art brut von Künstlern wie Jean Dubuffet, die im unverblümten Beton brut, dem rohen, ungezähmten Material, eine Entsprechung findet. Zweitens: die Pop Art, die sich aus den Gegenständen des Alltags speist und diese in ihre Werke einbezieht (darunter Architekten wie Alison und Peter Smithson, die Erfinder des „New Brutalism“). Drittens: die konkrete Musik, die ihre Effekte aus den Geräuschen der wirklichen Welt bezog, diese verarbeitete und stilisierte (Komponisten wie Edgar Varèse). Viertens: die Monochromien Yves Kleins und Fünftens: die von den Surrealisten entdeckten Automatismen einer un- oder vorbewussten Kunst, die den Zufall bewusst einbezieht.
Corbusier hatte zu den Künstlern und Intellektuellen seiner Zeit schier unglaubliche Verbindungen – allein deshalb, um sich in ihnen zu spiegeln, um Kritik, mehr noch: Bestätigung zu bekommen und seine schier unendliche Arroganz zu befriedigen. Diese Verbindungen – so zeigen Gargiani und Rosellini schlüssig – nutzte Corbusier, um sich inspirieren zu lassen. Er verarbeitete die aufgeschnappten Konzepte schnell und verleibte sie dem eigenen Kunstwollen ein, machte sie für seine Bauwerke und Stadtvisionen nutzbar. Da die Autoren chronologisch vorgehen, Werk für Werk untersuchen, den jeweiligen Innovationsgehalt am Beispiel des Materials freilegen – immer abgeglichen mit den Raumkonzepten und der Entwurfsaufgabe – lässt sich der vorliegende, angenehm leichtgängig und nachvollziehbar geschriebene Band wie eine Monografie lesen. Die Fülle der ausgewerteten Quellen stellt dabei die Untersuchung auf eine solide Grundlage und erschließt gleichzeitig den reichen Nachlass Corbusiers für weitere Forschung. Kurzum: Eine gelungene Publikation, zu der man die Autoren und die Herausgeberschaft (École Polytechnique fédérale de Lausanne) beglückwünschen muss. Zwei weitere Bände zum Oeuvre Corbusiers sind geplant – man darf, man muss gespannt sein!

10.06.2013
Christian Welzbacher
Roberto Gargiani und Anna Rosellini: Le Corbusier. BĂ©ton brut and Ieffable Space, 1940-1965. Surface Materials and Psychophysiology of Vision. EPFL Press (Routledge), 2012. 590 S., 1335 meist fb. Abb. EUR 98,00
ISBN 978-2-940222-50-6
 
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