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Richard Buckminster Fuller – Architecture in the Age of Radio.

In unserem deliriösen Zeitalter der totalen Vernetzung zu den Ursprüngen der Kommunikationstechnologien zurückzugehen ist immer ein interessantes Unterfangen, da es Erkenntnisgewinn für die Gegenwart verspricht. Genau das versucht der neuseeländisch-amerikanische Architekturhistoriker Mark Wigley, indem er sich – zum wiederholten Male – mit Richard Buckminster Fuller (1895 bis 1983) auseinandersetzt. Er tut es genau unter jenem Blickwinkel der Vernetzung, die mit dem Zeitalter des Radios, der transmittierten Wellen und Teilchen, ihren Ausgang genommen hat und heute mit dem Internet und unserem durchcomputerisiert-globalen Dasein einem ersten Höhepunkt entgegengeht.
Fuller nahm die Dogmen der Moderne, wie sie etwa Le Corbusier formuliert hatte, als er das Haus als „Maschine“ definierte, derart ernst, dass er die Parameter, ja die Bedeutung von Architektur generell in Frage stellte: Wenn, so Fuller, zuerst die Industrialisierung (das Maschinenzeitalter, über dessen Wirkungen auf die Architektur Reyner Banham in den 60er Jahren ein berühmtes Buch geschrieben hatte, auf das Wigley implizit anspielt), danach die Erfindung der drahtlosen Datenübermittlung (Radio im weitesten Sinne) Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft derart fundamental umwälzten, wie man es in den Entwicklungen verfolgen konnte – was bedeutete das dann konkret für die Architektur? Fuller stellte fest, dass sich Corbusiers griffige Slogans zwar gut lasen, in der Praxis jedoch eher als werbewirksame Lippenbekenntnisse ausnahmen. Dies zu ändern trat er an.
Fuller war dabei weniger Architekt, als Antiarchitekt. Denn er versuchte zunächst, sich von sämtlichen bis dahin existierenden Vorstellungen zu lösen, was ein „Haus“ sei. Das kam einer Verbannung sämtlicher Aspekte gleich, die bis dahin die Arbeit von Architekten ausgezeichnet hatten, nämlich die Gestaltung von Raum. Ästhetik, selbst im Ansatz, brauchte es aber laut Fuller überhaupt nicht. Es gelte viel eher, das vor-architektonische Wesen des Hauses freizulegen, seine Basisfunktion als Schutzraum (Shelter) des Individuums. In zweiter Instanz dann sollte dieser Schutzraum den Parametern von Industrialisierung und Radio nicht nur, wie bisher, einfach angepasst werden, indem man neue Technik (etwa in Form von in die Wand verstauten Leitungen und Rohren) auf das Vorhandene (nämlich das gestaltete Haus alter Prägung) applizierte. Fuller wollte etwas ganz anderes: die neue Schutzhülle des neuen Menschen just aus den Grundlagen von Industrialisierung und Radio heraus zu entwickeln. Genau hierin liegt, wie Wigley überzeugend zeigen kann, der fundamentale Unterschied Fullers zu seinen ebenfalls technikaffinen Zeitgenossen.
Fullers Vorhaben, das sich bald zu einem gigantischen Lebensprojekt über rund 60 Arbeitsjahre auswuchs, führte einerseits dazu, dass er Häuser in Massenfertigung produzieren wollte. Er entwickelte Prototyp nach Prototyp (darunter das Dymaxion-House), Flop nach Flop, allerdings, wie Wigley wohlwollend wissen will, aus Prinzip, da es nicht etwa um die Praxis, sondern um die Revolutionierung des Denkens an sich ging (was Fuller, auch hierin ist Wigley wohlwollend, selbstverständlich gelungen sei). Andererseits machte der Tüftler Fuller die Radiotechnologie zum integralen Teil seiner Schutzhülle, indem er Häuser und Empfangs- und Sendemasten zu einer gestalterischen Einheit verband, also etwa nicht Sendemasten auf solide Baukörper stellte (wie seine Kollegen), sondern zum Beispiel zellenartige Metallkapseln an Sendemasten hängte und auf diese Weise reale und virtuelle, Schutz- und Radiofunktion vereinte. Die hier begonnene Entwicklung kulminierte schließlich in Fullers sogenannten „geodätischen Kuppeln“. Sie wurden – in Analogie zu Radioröhren – aus hohlen Hülsen (Tubes) gefertigt, sodass die statisch relevante Struktur dieses Fullerschen Super-Shelters gleichzeitig als Sende- und Empfangsgerät und als Infrastrukturträger genutzt werden konnte.
Dass Fuller bei seinen Entwicklungen lebenslang auf die Hilfe des Militärs zurückgriff, er von dort Forschungsgelder bezog, dass selbst die gesamte Radiotechnologie, auf der Wigley zufolge Fullers gesamtes Denken aufbaute, eine Kriegstechnologie gewesen war, verschweigt das vorliegende Buch nicht, wenngleich man dem Autor nicht wirklich unterstellen kann, allzu kritisch-investigativ mit Fuller umgegangen zu sein. Das Hauptproblem des Buches ist jedoch nicht etwa die Heiligenverehrung, sondern seine redundante Struktur. Nach 30 Seiten Text ist die Hauptthese entwickelt – danach sagt Wigley immer das Gleiche. Beherztes Lektorat mit Textumstellungen hätte das argumentative Kreisen um sich selbst in eine lineare Argumentation gebracht, die sich beim fortschreitenden Lesen allmählich aufgebaut und erweitert hätte. In der vorliegenden Weise wird die Angelegenheit leider schnell öde. Und trotzdem bleibt Wigleys Kernfrage spannend, denn Fuller im Hinblick auf die Gegenwart zu betrachten ist eine Erkenntnisbereicherung in jeder Hinsicht. Wobei man allerdings auch feststellt: Seine Versprechen sind bis heute nicht eingelöst.

08.01.2016
Christian Welzbacher
Bucky Inc. - Architecture in the Age of Radio. Wigley, Mark. 2014. Engl. 320 S. 150 Abb. 24 x 17 cm. Lars MĂĽller Verlag, ZĂĽrich 2015. EUR 35,00. CHF 38,00
ISBN 978-3-03778-428-0
 
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