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Frau Architekt

Seit es Architektinnen gibt, waren sie zunächst unsichtbar oder ganz verschwunden und für Frauen oft eine bittere Erfahrung in ihrem Berufsleben. Ob die Zukunft weiblicher wird, muss sich noch zeigen: Zwar sind inzwischen weit mehr als die Hälfte aller Studierenden an den Architekturfakultäten Frauen, aber längst nicht alle kommen auch wirklich im Beruf an und die wenigsten schaffen den Sprung in die erste Reihe – dort ist Architektur immer noch Männersache.

Das Katalogbuch beginnt mit einigen allgemeinen Essays über den Werdegang von Architektinnen. Laura Weißmüller beklagt den immer noch üblichen Zustand der „unsichtbaren“ Architektin, der aber immerhin von Zaha Hadid ein wenig aufgehoben wurde und durch Kazuyo Sejima auf der Architekturbiennale 2010 in Venedig allseits gewürdigt weiblichen Glanz erfuhr. Mary Pepchinsky beschreibt, wie sich die Frauen um 1900 langsam das Feld der Architektur eroberten. Allerdings eröffnete erst der Erste Weltkrieg und die Weimarer Republik wirklich neue Chancen, die jedoch durch die Nationalsozialisten ein jähes Ende fanden und erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder neu erstanden. Christina Budde erläutert die heutigen immer noch schwierigen Bedingungen für Frau Architekt und Despina Stratigakos berichtet, wie deutsche Architektinnen sich in Wilhelminischer Zeit und in der Weimarer Republik mutig zur Wehr setzten, während viele Frauen im damaligen Mandatsgebiet Palästina bessere Voraussetzungen für ihre Arbeit fanden, so Sigal Davidi in ihrem Essay. Die Rahmenbedingungen für Frauen waren in der DDR im Vergleich zur BRD zwar etwas günstiger, aber immer noch nicht ideal, führen Christiane Droste und Sandra Huning aus und als abschließendes Highlight berichtet Ursula Müller über den Umbau in den 1980er Jahren einer ehemaligen Schokofabrik in Berlin Kreuzberg zu einem Frauenzentrum.

Nach den allgemeinen Essays werden in 22 Porträts Werkbeispiele vorgestellt und ganz persönliche Geschichten von Frauen, die Architektur maßgeblich beeinflusst haben oder sie ganz aktuell prägen.
Es beginnt bei Emilie Winkelmann, die 1907 das erste weibliche Architekturbüro in Deutschland gegründet hat, und endet mit dem Bauen in der Nachwendezeit, in Berlin und den neuen Bundesländern. Einige der Architektinnen sind selbst der Fachwelt kaum oder gar nicht bekannt, ganz zu schweigen von der breiten Öffentlichkeit. An den im Buch gezeigten Bauprojekten ist jedoch in der Regel keine besonders deutlich sichtbare „weibliche“ Hand erkennbar. Ein wenig weiblich erscheint das Zeiss-Planetarium „Spacemaster“ in Tripolis von Gertrud Schille, während Gesine Weinmiller „sich jeden Schlenker und jeden Gag verkneift“. Die Architektin Almut Grüntuch-Ernst arbeitet in einem Männerteam, wobei auf einem Foto mit ihren Kollegen selbstverständlich sie ein Baby auf dem Arm trägt, und in der neuen Hauptstadt Berlin ist Ulrike Lauber auf einem Foto die einzige Frau unter 14 Bauherren und Architekten. Am Ende heißt es in einer Schlussfolgerung von Hilde Heynen „Wo sind all die Frauen hin? Zur Sichtbarkeit von Frauen in der Architekturszene Flanderns“: „Es wird einer gezielten gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten bedürfen, um all dies zu verändern und den Sexismus zu überwinden“. Wie wahr!
Das Buch schließt mit einem Interview mit Kristin Feireiss über die „Lichtgestalt“ und das Ausnahmetalent Zaha Hadid (1950-2016), die als erste Architektin 2004 den Pritzker-Preis erhielt. Ihre Architektur ist weder weiblich noch männlich, sondern einfach revolutionär.
Sie wird leider im vorliegenden Katalog nicht gezeigt, ist aber neben vielen Literaturhinweisen auszugsweise bei Wikipedia zu finden.
Bleibt am Ende noch kritisch anzumerken, dass die Bildlegenden hätten etwas ausführlicher ausfallen dürfen, auch hätte hier und da ein Grundriss dazu beigetragen, die Bauwerke besser zu verstehen. Mir bleibt die Erkenntnis, dass es „weibliche“ Architektur weder gibt, noch geben muss. Was wir brauchen ist eine gute und geistreiche Architektur von Männern und Frauen gleichermaßen.

Die Ausstellung „Frau Architekt“ ist noch bis zum 8. März im Deutschen Architektur-Museum in Frankfurt zu besichtigen. Aber auch der Katalog dazu klärt die Sachlage von „Frau Architekt“ ungemein.

05.01.2018
Gabriele Klempert
Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architektenberuf / Over 100 Years of Women as Professional Architects, Hrsg.: Budde, Christina; Pepchinski, Mary; Cachola Schmal, Peter; Voigt, Wolfgang. Dtsch, Engl. 2017. 316 S., 350 z. T. fb. Abb. 30 x 24 cm. EUR 48,00
ISBN 978-3-8030-0829-9
 
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