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David Chipperfield Architects

Dem thematisch-fachlich interessierten Leser bieten sich in diesem Sammelband neben einer chronologischen Übersicht und vielen Plänen, Skizzen die wenigen Seiten einer Diskussion von 2007 unter dem Titel „Die Sehnsucht nach dem Gestern“ als Einstieg in die fast zwanzigjährige Planungs- und Baugeschichte des neuen Eingangsgebäudes zu den Museen auf der Berliner Museumsinsel an. Ein Einstieg, den Architekten-Rückblicke wie der „Auf der Suche nach einer anderen Moderne“ (2007) ebenso abrunden wie die Perspektive des engagierten Fachjournalisten, „So nicht, Mr. Chipperfield“ (2006). Schon diese Überschriften verweisen auf Risse im damaligen architektonischen Selbstverständnis. Und damit auf den in all diesen Beiträgen oft aufscheinenden schwierigen, langen Weg weg von der bis dahin auch für David Chipperfield Architects fast kanonisch geltenden architektonischen Konzeption, historischer Bausubstanz kontrapunktisch gläserne, oft kubische Baukörper entgegenzusetzen.
Durch lebhafte öffentliche Diskussionen gefördert, bildet sich nun mit dem Rückgriff auf Vorstellungen von Friedrich Wilhelm IV. und Schinkel sowie der stadträumlichen Öffnung des Gebäudes das Konzept einer Art moderner Akropolis heraus. Bei ihr werden Museumsinsel-Motive zeitgenössisch variiert. So öffnet sich das nun konzipierte Gebäude mit einer monumentalen Freitreppe zur Stadt hin, sein Sockel verbindet es mit dem Pergamonmuseum, sein Hof mit dem Neuen Museum. Pfeiler- und Säulengänge sowie Kolonnaden lassen diesen Solitär filigran wirken und ordnen ihn gleichzeitig architektonisch in das Gesamtgefüge der Museumsinsel ein. Sodaß ein fast zeitloser Ort entstanden ist, der über seine bloßen Servicefunktionen hinausweist, Kartenverkauf, Garderobe, Restaurant, Museumsshop, Sonderausstellungsraum und Auditorium für ein sowohl städtisches als auch touristisches Publikum. Schade daß die Innengestaltung der Galerie mit ihren kalt-nackten Wänden in all diesen Beiträgen nur marginal auftaucht.

Diese neue architektonische Konzeption wird im umfangreichsten Beitrag zu diesem Sammelband ausführlich kulturhistorisch-bildungsgeschichtlich interpretiert. Mit dem Ergebnis, auch diese Galerie sei als Ort zu verstehen, an dem sich bürgerliche Selbstfindung durch die (idealistische) deutsche Bildungsidee des 19. Jahrhunderts konkretisiere. Mehr noch, Museen, diese Galerie, würden so zum Schöpfer der deutschen Zivilgesellschaft. Das ist hoch gedacht. Und findet sich ähnlich in einem Beitrag über die historische Semantik dieser Galerie, der durch sehr detaillierte, jedoch gelegentlich zu bemüht wirkende Schinkel-Analogien auffällt.

Fehlt freilich noch der Hinweis auf einen Beitrag, den man hier gerne an erster Stelle gesehen hätte, den zu dem Namensgeber dieser Galerie, James Simon. 1932 verstorben und nach 1933 so erfolgreich vergessen, daß die Geschichte dieses Vergessens auch hier nicht thematisiert wird. Ein jüdischer und größter Mäzen der Preußischen Museen in Berlin in der Zeit um 1900, souverän, unbestechlich, eine vorbildliche Persönlichkeit, sozial engagiert und überaus kunstaffin. 1912/13 hatte er jene Grabungen finanziert, die zum Fund der Nofretete führten. Die deshalb sein Privatbesitz war bevor er sie 1920 den Preußischen Museen schenkte.

Die James-Simon-Galerie. Ort einer Gegenwart, durch Namensgebung und Architektur mit der Vergangenheit versöhnt.

04.11.2019
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
David Chipperfield Architects. James-Simon-Galerie Berlin. Hrsg.: Reichert, Martin. 246 S. 24 x 24 cm. Walther König, Köln 2019. EUR 38,00.
ISBN 978-3-96098-571-6
 
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