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Technopolis – Urbane Kämpfe in der San Francisco Bay

Die merkwürdigen Verquickungen unserer sichtbaren Lebensrealität mit unsichtbaren Datenströmen: darum geht es in dem vorliegenden Sammelband, der am Beispiel von San Francisco gesellschaftliche Veränderungen analysiert, die uns alle betreffen. 15 Aufsätze beschreiben unterschiedliche Aspekte einer Kopplung von Gewerbeansiedlung (in diesem Falle die Tech-Unternehmen des Silicon Valley) und Stadtentwicklung (von Stadt und Region San Francisco) – und sie verweisen immer wieder auf zweierlei: Erstens die Verquickung lokaler Veränderungen mit der global agierenden Wirtschaft, die jenseits von San Francisco sich zum großen Teil im Niedriglohnsegment abspielt (Zuliefererbetriebe der Dritten Welt). Zweitens: die als großer Treiber hinter sämtlichen hier fokussierten Entwicklung stehende Finanzindustrie. Sie nutzt die erweiterte Verwertungskette ihrer Investments voll aus, indem sie Start Ups mit Venture Capital aufpumpt, Immobilien vermietet, ÖPNV privatisiert, die Zulieferer betreibt, aber auch den Absatz der hier generierten Produkte (vom Rechner über das Webportal bis zur Uber-Vermittlungsgebühr) abschöpft. Willkommen im neoliberalen Totalitarismus.
Das hier aufbereitete Material sollte eigentlich an Schulen diskutiert werden, damit die Kinder frühzeitig erkennen, welchen Strukturen sie – ja man muß sagen: ausgeliefert sind. An Schulen auch deshalb, weil die Aufsätze ihr Thema nicht abstrakt verhandeln, sondern immer wieder an eindrücklichen Beispielen erläutern. Denn es geht (und das wird bei allem Business gern vergessen) eben nicht ums Geld. Es geht um Menschen. Und Deregulierung und Finanzialisierung haben das Dasein eben vieler dieser Menschen in Kalifornien zu einer Art permanenten Daseinskrieg werden lassen, der selbstverständlich auch Schlachtfelder in Europa hat.
Die explodierenden Wohnungspreise in Deutschland, die Entwertung der Arbeit durch Lohndumping, die Entwertung der Ausbildung durch zerstörte Arbeitsmärkte – ein Heer von Präkeren, von Verzweifelten, Verschuldeten, von Obdachlosen ist die Folge. Und man kann sie besuchen, mit ihnen sprechen, sie befragen, indem man sich beispielsweise ein Stündchen in die U-Bahnen der großen europäischen Metropolen setzt. Es ist also kein Wunder, dass „Technopolis“ mit dem letzten Aufsatz den Sprung über den großen Teich wagt und das Beispiel Berlin anführt – wo ein „Google Campus“ durch beherztes Einschreiten der Zivilgesellschaft vorerst verhindert werden konnte.
Ja, dieses Buch ist deprimierend. Aber Aufklärung (und damit Klärung) ist immer hart, weil sie Desillusionierung bedeutet. In diesem besten Sinne betreibt der vorliegende Sammelband Aufklärungsarbeit, die nicht nur Stadtforschung und Stadtsoziologie betrifft – sondern unser aller Leben. Tief durchatmen und unbedingt Lesen!

18.01.2020
Christian Welzbacher
Technopolis. Urbane Kämpfe in der San Francisco Bay Area. Hrsg.: Schwaller, Katja. Beitr.: Rebecca, Solnit; Adriana, Camarena; Sarah, Schulman; Richard, Walker; Gay, Shame; Lori, Flores. 232 S. 21 x 14 cm. Assoziation A Verlag, Berlin 2019. EUR 19,80.
ISBN 978-3-86241-471-0
 
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