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Das Warenhaus in der BRD von 1960 bis 1980

Eine Krise der Warenhäuser? Kein Thema in der Hochzeit westdeutscher Innenstadt-Kaufhäuser zwischen 1960 und 80, von der Forschung bisher wenig beachtet. Doch nun in einer Dissertation vorgestellt, auf der Grundlage von in zeitgenössischen Fachzeitschriften detailliert beschriebenen beispielhaften 30 Gebäuden. Der Versuch einer Typologie des Warenhauses als eigenständiger Bautyp, beschrieben im Kontext mit dem jeweiligen städtebaulichen und architekturtheoretischen Diskurs. Die Beurteilungskriterien: der Zäsur-Maßstab von Mendelssohns 1928 erbautem Stuttgarter Schocken-Kaufhaus, 1960 trotz vieler Proteste abgerissen. Und, nicht deutlich formuliert, das architektonische Prinzip „form follows function“.
Konkretisiert durch Blicke in die Zeit nach und vor 1960, zuerst zurück auf das wilhelminische Berlin des Kaufhauses Wertheim. Alfred Messels dort vor 1908 geübter weitgehender Verzicht auf Fassadendekorationen wird als beginnende Abwendung vom bisherigen Luxustempel (grand magasins, nach 1880) verstanden, die architektonisch in Mendelssohns Stuttgarter Warenhaus-Zweckbau der Rundungen und gläsernen Fassadenteile kulminiert. Ein Muster- und Maßstab-Kaufhaus, bei dem sich Form und Funktion entsprechen, form follows function. Hier soziokulturell besonders gelungen durch Zitate aus der zeitgenössischen Warenhausliteratur eingebunden. Nun wird das Warenhaus demokratisch, zum Ort für jedermann. Und nach 1933 Objekt der Enteignungen jüdischer Warenhausbesitzer, wobei ein Teil des Mittelstandes, der um seine Existenz fürchtet, dazu Beifall spendet.
Die Jahre nach 1945 erweisen sich dann als Weg des Kaufhauses von Palast und Kathedrale zum profanen Zweckbau ohne architektonischen Anspruch, funktional und profitorientiert optimiert. Doch bleiben Gegenbeispiele aus den Fünfziger Jahren ausgeblendet, sodaß Erich Eiermanns Mendelssohn-Nachfolgebau von 1960 als paradigmatisches Negativ-Beispiel an Argumentationsgewicht gewinnen kann. Ein, zugegeben, klotzartiger Solitär mit vorgehängter Netzfassade, ohne Transparenz in der Außen-Innen-Beziehung der Fassade. Kurz: hier folgt die Form der Funktion nicht mehr. Resultat auch der konsumkritischen Diskurse der Sechziger, wird dieses architektonische Bau- als Strukturprinzip jedoch in den Siebziger Jahren ebenso wie das ortsspezifische Umfeld wieder wichtiger. Und eine Trendwende hin zum Historischen, Historisierenden im Städtebau deutet sich an, hier prototypisch mit dem Freiburger Kaufhaus von Heinz Mohl belegt (1975). Mit seiner kleinteilig gerasterten Fassade zwar seinem Umfeld angepaßt, doch ohne seine Genese aus der Zeit funktionalistischer Kubenbauten verleugnen zu können.
Alexander von Brancas Würzburger Warenhaus (1975-80) ist in Form und Fassade dann so stark in das historische städtebauliche Umfeld eingebunden, daß beide nicht mehr der Funktion des Gebäudes entsprechen können. Bei einem, hier unerwähnt, ausgewiesenen Gegner der form-follows-function nicht verwunderlich. Sodaß sich als Fazit dieser Dissertation das Verdikt gegen architektonische Gestaltungsformen und eine Bautypologie ergibt, die dieser Vorstellung nicht entsprechen. Die abschließenden theoretisch-postmodernistischen Begründungen (dafür ?), ja Behauptungen, überzeugen wegen der Schärfe ihrer Formulierungen nicht und münden letztlich in eine Anklage gegen alle Architekten, die sich einer mit der Konsum- und Profitorientierung ihrer Auftraggeber verbundenen architektonischen Pseudo-Historisierung des öffentlichen Raumes nicht widersetzen.
Der sachlich-analytische Teil dieser Arbeit zur Bautypologie überzeugt, die Stringenz der Argumentation für eine Form-folgt-der-Funktion ist uneben und der abschließende Versuch einer theoretischen Fundierung macht ratlos auch deshalb, weil die Frage nach Alternativen nicht gestellt wird.

03.12.2020
Wolfgang Schmidt
Das Warenhaus in der Bundesrepublik Deutschland von 1960 bis 1980. Auf der Suche nach einer Integration in den urbanen Kontext. Testa, Marlene. Deutsch. 327 S. 29,7 x 21,0 cm. BOD Verlag, Hohenwarsleben 2020. EUR 105,00.
ISBN 978-3-96004-068-2
 
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