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Albrecht Dürer

Bis heute gilt Albrecht Dürer (1471-1528) als einer der größten Grafiker seiner Zeit. Etwas im Schatten seines graphischen Werkes stand, so der Befund des Kunsthistorikers Norbert Wolf (*1949), Dürers malerisches Werk. Dieses vorzustellen schickt Wolf sich daher in seinem 2010 beim Verlag Prestel erschienenen und mit „Albrecht Dürer. Werkverzeichnis der Gemälde“ betitelten großformatigen Buch an, dessen Umschlag von einer Abbildung von Dürers berühmtem „Selbstbildnis im Pelzrock“ von 1500 geziert wird.

Der Autor erläutert in seinem Vorwort seine Absichten und nimmt Eingrenzungen hinsichtlich des präsentierten Stoffes vor. So gehe es ihm um Präsentation und Bewertung von Dürers Kunst „aus heutiger Sicht“ und das heißt, vorzustellen gilt es nicht nur die wichtigsten, sondern auch die neuesten Erkenntnisse zu Dürer. Wolf formuliert ferner im Vorwort, dass es gelte, Dürer gerecht zu werden und das heißt zunächst einmal dessen Virtuosität im „Umgang mit dem Pinsel“, so der Stand neuester „technologischer Untersuchungen“, herauszustellen. Dürer gerecht zu werden heißt aber auch dessen enormes Schaffensspektrum zu berücksichtigen. In weiteren Einlassungen weist Wolf darauf hin, dass Dürer nicht nur als Grafiker, Maler oder Bildhauer, sondern auch als Restaurator, Gutachter, Musiker, Schriftsteller und Theoretiker unterwegs gewesen sei. Wolf, wohlwissend, dass die Vorstellung des ‚gesamten‘ Dürer von einem einzelnen Kunsthistoriker nicht zu leisten ist, spricht davon, dass dazu ein „Autorenkollektiv“ notwendig sei, geht strategisch geschickt vor. So betrachtet er Dürer als herausragenden Grafiker und stellt sich somit in gute kunsthistorische Tradition. Von dieser Basis aus geht es dann zum malerischen Werk Dürers und zu dessen weiteren Schaffensbereichen. Diese Strategie ist in sich konsistent, da Wolf auf Dürers Anspruch, der dem von der „Renaissance propagierten Ideal des uomo universale“ folgt, eingeht und geschickt die Facetten von Dürers Wirken in seine Ausführungen einflicht.

Im Zentrum steht also der Maler Dürer mit Seitenblicken auf dessen sonstiges Wirken. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Wolf, um den Maler Dürer stark zu machen, im ersten Anlauf auf neueste „technologische Untersuchungen“ verweist. Diese hätten, so Wolf weiter, auch Dürers Virtuosität im Umgang mit dem Pinsel gezeigt. Von Bedeutung sind solche Untersuchungen auch im Hinblick auf die Authentifizierung bestimmter Werke als von Dürer hergestellte. Die Publikation verfolgt daher ein zweites Ziel, Klarheit in die Zuschreibung der Gemälde zu bringen, wobei Wolf darauf hinweist, dass der „Begriff Gemälde“ eine Reihe von „Unschärfen“ impliziere, da Dürer verschiedene Malgründe, wie etwa „Pergament“, verwendet habe.

Auf die kurze Vorrede folgt die eigentliche Einführung, die einige Referenten wie den Gelehrten und Theologen Sebastian Franck (1499-1542/43) zu Dürer zu Wort kommen läßt. So verglich Franck Dürer mit dem berühmtesten antiken Maler Apelles (zw. 375 und 370 v.Chr. – 4. Jh. v. Chr.). Als ‚neuer‘ Apelles wird Dürer dann in Wolfs Studie, einer Kombination aus Monographie in sieben Kapiteln und einem kommentierten Werkverzeichnis der Gemälde, das sich an den monographischen Teil anschließt, vorgestellt. Beschlossen wird die Studie mit einem Literaturverzeichnis und einem Namens- und Ortsregister. Das Abkürzungsverzeichnis befindet sich im Vorwort. Darin werden die in das Werkverzeichnis aufgenommenen Werke mit einem „K“ und einer fortlaufenden Nummer versehen. Wolf nimmt im Katalog auf eine weitere Publikation, das 1991 vom Kunstwissenschaftler Fedja Anzelewsky (1919-2010) vorgelegte Verzeichnis „Albrecht Dürer. Das malerische Werk“ Bezug und sigelt dieses mit einem in Klammern gesetzten „A“. Mit „FW“ sind achtzehn fragliche Werke gesigelt, die im Anschluss an die mit „K“ markierten Werke präsentiert werden, wobei Anzelewsky einige dieser Werke Dürer zuschrieb. Sofern dies der Fall ist, erhalten die „FW“-Werke auch den Zusatz „A“ und die entsprechende Nummer.

Auch wenn Wolf keine Biographie Dürers vorlegt, so stellt er, neben dessen Wirken, auch dessen Leben, beginnend mit dem ersten Kapitel „Lehr- und Wanderjahre“, in geraffter Form dar. Wolf tut dies, wenn keine gesicherten Fakten vorliegen, mit der gebotenen Vorsicht. Einige Stationen Dürers, so sein Aufenthalt in Colmar, sind verbürgt, andere jedoch nicht. So diskutiert Wolf, wo, wann und wie Dürer mit der niederländischen Malerei in Kontakt gekommen sein könnte. In diesen Fällen wägt Wolf das Für und Wider der Annahme, Dürer sei selbst in den Niederlanden gewesen, ab. Auch im Falle von Dürers Aufenthalt in Italien wird Wolfs sorgfältige Herangehensweise deutlich und so präsentiert er, wie an allen Stellen, den neuesten Forschungsstand zu diesem Aspekt. Dem Text Wolfs beigegeben sind hervorragend reproduzierte Abbildungen Dürerscher Werke, so auch von dessen Aquarellen, von denen vierunddreißig, so Wolf, bekannt seien. In der vorliegenden Publikation, das macht ihren visuellen Reiz aus, finden sich sowohl Abdrucke von sehr bekannten Kunstwerken Dürers wie etwa dem Aquarell „Das große Rasenstück“ (1503: Gesamtansicht und als stark vergrößerte Detailabbildung) als auch von eher unbekannten. Dass es sich beim „Rasenstück“ um keine Wiedergabe eines zufälligen Naturausschnitts, sondern um eine „durch und durch kalkulierte Bildstruktur“ handelt, macht Wolf deutlich. Kritisch wendet sich Wolf auch gegen den Umgang mit Dürers Werken wie etwa beim berühmten „Feldhasen“ (1502), der „verkitscht“ worden sei. Gegen die Sicht, Dürer als reinen ‚Naturalisten‘ aufzufassen, argumentiert Wolf, dass sich auch beim „Feldhasen“ zeige, wie Dürer „seine theoretische Forderung an die Malerei, die äußerlichen Merkmale einer Sache (natura naturata) sichtbar zu machen und die Idee vom Wesen dieser Sache (natura naturans) offen zu legen“ umgesetzt habe.

Mit einer interessanten Ausführung von Wolf zum Kunstverständnis Dürers, „Mimesis und Phantasie“, wird dieses Kapitel beschlossen, an dessen Ende sich, wie auch in den übrigen Kapiteln, Anmerkungen befinden. Von Dürers internationalem Ruhm ist im zweiten Kapitel die Rede. Eng mit diesem Aspekt ist ein Buch Dürers verknüpft, das Holzschnittbuch, „Die heimliche Offenbarung des Johannis“, das 1498 in einer deutschen und lateinischen Ausgabe erschien. Welche Sorgfalt auch der Verlag Prestel walten ließ, zeigt sich an den, die Ausführungen Wolfs einrahmenden Abdrucken von 15 Doppelseiten (Text und Bild) der deutschen Ausgabe des Holzschnittbuches. Den im ersten Kapitel entfalteten Aspekt bildnerischer Strategie, „Mimesis und Phantasie“, führt Wolf in diesem Kapitel weiter und zeigt, wie die „Apokalypse“ Dürer die Möglichkeit bot, beides zu verfolgen. Doch nicht nur in bildnerischen Belangen, auch merkantil war Dürer erfolgreich, boten ihm Grafik und Buchdruck die Möglichkeit ein breites Publikum zu erreichen und sein Einkommen, bar jedes Glaubens an einen Weltuntergang, enorm zu steigern.

Gesteigert hat Dürer auch sein Ansehen in intellektuellen Kreisen. Umgeben von Humanisten und Gelehrten erzählt Wolf im dritten Kapitel, das nicht minder spannend ist, von Dürers Beziehungsnetz. Mit dem vierten schlägt Wolf eines auf, das sich mit jenem rätselhaften Kupferstich „Melencholia I“ (1514) befasst, der zu den am meisten analysierten kunsthistorischen Objekten gehört. Mit Dürers „Meisterwerken der späten Jahre“ geht es im fünften Kapitel weiter, in dem nochmals auf das Schaffensspektrum des Multitalents Dürer, als Entwerfer für „Glasfenster, Goldschmiedearbeiten, Münzen und Medaillen“ eingegangen wird. Wolf würdigt Dürer auch als Dichter und kommt erneut auf den geselligen Dürer, als Mitglied des Nürnberger Diskussionszirkels „Sodalitas Staupitziana“, zu sprechen, der auf den Theologen Johannes von Staupitz (1465-1524) zurückgeht. Dass es in dieser Zeit viel zu besprechen gab, liegt auf der Hand, da Martin Luthers (1483-1546) Reformation die christliche Welt spaltete. Dürer ist zwar auch ein Mann des Wortes, als Antwort auf die konfessionellen Turbulenzen indes fasst Wolf Dürers „monumentales Doppelbildnis“ „Die vier Apostel“ (1526) auf und sieht in ihm ein „Ereignis europäischer Malerei“. Ausführlich stellt Wolf in den folgenden Textpassagen Ergebnisse der Forschung zu diesem Werk Dürers vor und einmal mehr ist Wolf dafür zu loben, dass er, trotz Verwendung kunsthistorischen Fachvokabulars, allgemeinverständlich schreibt. Zu loben ist ferner der Verlag, der dieses „europäische Ereignis“ auch als ein visuelles ‚Ereignis‘ in Szene setzt und die Köpfe der vier Apostel in einer Detailabbildung in zwei aufklappbaren Buchseiten zeigt. Die sorgfältige Ausstattung setzt sich auch im nächsten Kapitel fort, in dem kurz und prägnant auf Dürer als Theoretiker eingegangen wird. Selbstverständlich wird Dürer, wie in den Kapiteln zuvor, im Kontext seiner Zeit verortet und zum Stand der wissenschaftlichen Diskussion referiert.

Eine wissenschaftliche Publikation zu diesem Aspekt konnte Wolf nicht mehr berücksichtigen. Es handelt sich um das vom Kunsthistoriker Berthold Hinz (*o.A.) herausgegebene, kommentierte und in heutiges Deutsch übertragene theoretische Hauptwerk Dürers „Vier Bücher von menschlicher Proportion“ (1528), das 2010 beim Verlag Akademie erschien. Diese Publikation ergänzt trefflich Wolfs Ausführungen und die in der vorliegenden Publikation abgedruckte Holzschnittfolge Dürers „Der Zeichner der Laute“, die dieser in seine 1525 publizierte Schrift „Unterweisung der Messung“ aufnahm. Ebenfalls abgedruckt wurde eine Seite aus den „Vier Büchern von menschlicher Proportion“ und eine Falttafel, auf der es einen „Bebauungsplan einer idealen quadratischen Stadt“ zu besichtigen gibt.

Dürer erlebte die Drucklegung seiner Hauptschrift nicht mehr und mit dem sechsten Kapitel schließt Wolf seine Ausführungen zu Leben und Wirken Dürers ab, um sich im siebten dessen Wirkung zu widmen. Insgesamt wird in dieser Publikation Dürers Virtuosität in mehrfacher Hinsicht, so auch in wirtschaftlicher Hinsicht, deutlich. Dürer verstand es bereits zu Lebzeiten ein beträchtliches Vermögen anzuhäufen und gehörte, so Wolf, zu den „hundert reichsten Bürgern Nürnbergs“. Doch damit nicht genug, Dürer dachte auch über jenen Tag hinaus, an dem er nicht mehr unter den Lebenden weilen würde und sorgte, so Wolf, für „seinen Nachruhm“. Diesem Aspekt widmet sich Wolf kurz und greift zeitlich bis 1907 aus, als Pablo Picassos (1881-1973) „Proportionsstudie“ erschien. Wolf, der als exzellenter Kenner gelten kann, ist selbstredend nicht entgangen, dass sich noch weitere Künstler auf Dürer bezogen. Spektakulär inszenierte sich der Aktionskünstler Jonathan Meese (*1970) und spielte mit seiner Pose auf das eingangs erwähnte Selbstbildnis Dürers an. Dem „Feldhasen“ wiederum widmeten sich Joseph Beuys (1921-1986), Dieter Roth (1930-1998) und Klaus Staeck (*1938). Auch in der schönen Literatur hinterließ Dürer Spuren, so etwa in der fünften Strophe des Gedichts „Melancholie“ (1883) von Gottfried Keller (1819-1890) und Marcel Proust (1871-1922) spricht im ersten Band seines Romanzyklus‘ „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von einem „Dürerschen Germanen“. Empirisch könnte man die Wirkungsgeschichte anreichern, ändern würde sich damit der Sachverhalt, dass Dürers Wirkung bis in die Gegenwart reicht, indes nicht.

In jedem Fall gelang Wolf sein Vorhaben, den Maler Dürer im monographischen Teil vorzustellen, wenngleich die eingehende Vorstellung von Dürer als Maler dem Katalogteil vorbehalten bleibt. Die Vorstellung der Gemälde beginnt mit den technischen Angaben, es folgen Erläuterungen zum Bildtitel, zum Erhaltungszustand und zur Geschichte und zu den Eigentumsverhältnissen der Gemälde wie beispielsweise beim „Rosenkranzbild“ (1506). Der Kommentar zu diesem Werk ist, wie in anderen Fällen, kenntnisreich und an der Sache orientiert. Neben ikonographischen Angaben liefert Wolf eine Entschlüsselung des gesamten Figurenensembles. Bis ins letzte Detail ist die Studie publikumsfreundlich gestaltet. So werden im Katalogteil die Seitenzahlen im monographischen Teil angeführt, falls dort weitergehende Erläuterungen zu dem gezeigten Objekt gemacht werden, wie umgekehrt, im monographischen Teil auf den Katalogteil verwiesen wird.

Einen prominenten Platz wies Thomas Mann (1875-1955) Dürers „Melencholia I“ zu. Im „Doktor Faustus“ (1947) hängt eine Reproduktion des Kupferstichs über dem Pianino des Komponisten Adrian Leverkühn in dessen Studentenwohnung. Ein solch prominenter Platz gebührt der vorliegenden Studie in einer Kunstbibliothek in der Abteilung ‚Dürer‘. Wolf gelang das Kunststück, sowohl einen Überblick über das Schaffen des Multitalents Dürer zu geben als auch dessen Malkunst hervorzuheben und das Arrangement wurde so gestaltet, dass sowohl ein allgemeines als auch ein Fachpublikum neue Erkenntnisse über einen der großen Renaissancekünstler gewinnen kann. Der Pakt mit dem Prestel Verlag hat sich auch für Wolf gelohnt, da das Zuspiel von Druckerei und Verlag auf dem von Wolf vorgegebenen Niveau liegt und so ist das großformatige Buch auch im übertragenen Sinn eines von großem Format.

09.05. 2011



Sigrid Gaisreiter
Wolf, Norbert. Albrecht Dürer. Werkverzeichnis der Gemälde. 320 S. 50 Abb. , sw. , 200 fb. Abb. 37,5 x 26,3 cm. Gb. Prestel Verlag, München 2010. EUR 99,00. CHF 165,00
ISBN 978-3-7913-4208-5
 
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