KunstbuchAnzeiger - Kunst, Architektur, Fotografie, Design Anzeige Verlag Langewiesche Königstein | Blaue Bücher
[Home] [Epochen] [Rezensionen] [Druckansicht]
Themen
Recherche
Service

[zurück]

Architectura Militaris – Festungsbautraktate des 17. Jahrhunderts

Das Werk Architectura Militaris von Stefan Bürger ist ein Handbuch zu Festungsbautraktaten des 17. Jahrhunderts, das sich leider selber unterwandert. Denn der Autor wendet kein simplifizierendes System auf die untersuchten Traktate an, das dem Leser einen einfachen Zugriff auf das umfassende Material ermöglicht. Für den Laien oder den Leser, der sich schnell informieren will, ist das Buch damit schwer erschließbar.
Gegenstand der Untersuchung sind mehr als hundert Traktate zum Festungsbau aus dem 17. Jahrhundert, also eine wirklich großangelegte Studie, die hauptsächlich deutsche, französische und niederländische Schriften berücksichtigt, zum Teil aber auch die Entwicklung in der italienischen, spanischen und englischen Traktatliteratur oder im ausgeführten Festungsbau einbezieht. Die Traktate werden für den Leser auf 535 Seiten aufgearbeitet, wobei in den einleitenden Kapiteln noch Information zur Einordnung der Traktatliteratur gegeben werden. Wer sich wissenschaftlich mit dem Festungsbau und dem Schreiben über Festungen beschäftigen will, findet hier also einen breiten Überblick über den momentanen Forschungsstand.
Erst im zweiten Teil des Buches werden dann die einzelnen Traktate inhaltlich beschrieben. Hier beginnt der handbuchähnliche Abschnitt. Die Festungsbauschriften werden dabei auf Leitsätze (Axiome, Maximen) und Manieren, also Grundschemen zu befestigen, untersucht. Die Manieren werden von den Autoren des 17. Jahrhunderts selbst oftmals als nationale Stile beschrieben. Bürger kann jedoch mit seiner deskriptiven Sichtung deutlich machen, dass die Autoren nicht an bestimmte nationale Befestigungsarten gebunden sind und auch immer wieder auf vergangene Traktate verweisen, wobei es keine spezifisch nationale Tradition gibt. Insgesamt wird dabei auch deutlich, dass die Traktatliteratur nicht eine Innovationslinie aufweist: Immer wieder werden ältere Arten zu befestigen aufgegriffen und neu bewertet. Bürger entkräftet damit auch die Idee einer stringenten Modernisierungsgeschichte innerhalb der fortifikatorischen Entwicklung.
Und hier setzt nun die Kritik an, da Bürger selbst seine Traktate chronologisch ordnet und damit formal eine Entwicklungslinie suggeriert, die er argumentativ abspricht. Die extreme Diversität, die er am Material überzeugend vorführt, wird vom Autor eben nicht in ein ordnendes System übertragen, dass diese leserfreundlich verringert. Dies wäre aber von Nöten, da bekanntlich der Weg der Forschung mit der bloßen Darstellung des Gegenstandes bei weitem nicht ausgeschritten ist. Gibt es nicht etwa, wo Chronologie versagt, andere Richtlinien, anhand derer die Traktate gewichtet werden könnten, ohne, dass der Leser dabei a priori Experte sein muss, wie es bei vorliegendem Buch ratsam wäre? Der Autor, so scheint es, kennt und benennt selbst solche Markierungspunkte: Etwa die zeitgenössische Rezeptionsdichte, denn es gibt Traktate, die besonders lebhaft von den Zeitgenossen aufgenommen wurden, wie Rimpler oder Vauban. Dann gibt es eine Zäsur in der Traktatliteratur, die sich ab einem bestimmten Zeitpunkt dadurch auszeichnet, dass sie ein Denkmodell berücksichtigt, nämlich das der gekreuzten Defensionslinien. Möglicherweise wäre auch der Adressat der Traktate ein Indiz zu ihrer Einordnung gewesen: Waren es Widmungsschriften an einen Fürsten oder galten die Traktate den Ingenieuren oder einem anderen Fachpublikum?
So hat also der Leser am Ende ein wenig den Eindruck, um Klarheit betrogen worden zu sein. Denn solche Diversität zu lichten, wie im vorliegenden Fall, kann man vom durchschnittlichen Leser einfach nicht erwarten. Daher bleibt die Frage: Ist hier die Chance zum Standardwerk aufgrund wissenschaftlicher Skrupel um Vereinfachung verschenkt worden? Oder soll der poststrukturalistische Leser herausgefordert werden, ein derart vielschichtiges Handbuch nun für sich selbst fruchtbar zu machen? Testen und Lesen Sie am besten selbst.

08.01.2015
Vera Herzog
Architectura Militaris. Festungsbautraktate des 17. Jahrhunderts von Specklin bis Sturm. Minderrabattierung: wiss. Titel. Bürger, Stefan. 310 Abb. 26 x 20 cm. Gb. Deutscher Kunstverlag, München 2013. EUR 78,00. CHF 105,00
ISBN 978-3-422-07132-2
 
© 2003 Verlag Langewiesche [Impressum] [Nutzungsbedingungen]