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Prehistoric Egypt - Socioeconomic Transformations in North-east Africa

Mit dem 2014 publizierten Buch ist dem englischen Prähistoriker Geoffrey J. Tassie, der seit vielen Jahren in verschiedenen ägyptischen Ausgrabungsprojekten aktiv mitarbeitet, ein gutes Handbuch zur Beschreibung der frühen Kulturprozesse des alten Ägypten gelungen. Während vor allem die Zeit der frühägyptischen Staatsentstehung in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Ägyptologie gelangt/gerückt ist, sind gerade die dieser Phase vorausgehenden Entwicklungsprozesse noch immer nicht restlos verstanden. Letzteres liegt nicht zuletzt auch an der generell schwierigeren Fundsituation im Niltal und Ausdeutung der archäologischen Nachweise.
Die Frage nach den neolithischen Umwälzungen, also die Veränderung der Lebensweise durch neue Anbautechniken und Kulturpflanzen sowie Domestikation, ist gerade in den letzten Jahren wieder etwas näher in den Blick genommen worden und in vor allem kleinräumig regional/lokal fokussierten Studien untersucht worden (z.B. N. Shirai, The Archaeology of the First Farmer-Herders in Egypt: New Insights into the Fayum Epipalaeolithic and Neolithic, Leiden 2010).
Die Arbeit Tassie’s unterscheidet sich hierin, da sie als ein Kompendium gedacht ist und somit eine umfassende Kompilation der bislang bekannten Fakten und Fundorte im Überblick liefert. Der Autor hat sich hierfür als Startpunkt die Zeit des letzten glazialen Maximums (ca. 21.000–18.000 BP) ausgesucht und verfolgt die Prozesse bis zum Beginn des Chalkolithikums (4. Jt. v. Chr.). Stets wird dabei versucht nicht nur eine bloße Aneinanderreihung von Fundplätzen und Funden zu liefern, sondern diese gleichsam in ihren soziokulturellen, als auch landschaftlichen Kontext einzupassen.
Nach einer allgemeinen Einführung in die Problematik stellt G. J. Tassie zunächst die Rahmenbedingungen und Entwicklung der Nahrungsproduktion und der neolithischen Lebensweise in der Levante vor (Kapitel 2). Vom Vorderen Orient ausgehend dürfte ein Großteil der neuen Produktionsweisen als auch Pflanzen und Tiere in das Niltal eingeführt worden sein. Bis heute ist dabei allerdings ein Problem in der Quellenlage zu konstatieren. Zwar gibt es auch seit dem Jungpaläolithikum im Niltal (Kapitel 4) eine Vielzahl an Werkzeugplätzen und Fundobjekten, doch fehlen auch weiterhin bis auf sehr seltene Ausnahmen die menschlichen Skelettreste. Allein die Werkzeugherstellungstechnik als auch die Typen der vorhandenen Objekte lassen enge Beziehungen mit den angrenzenden Kulturräumen erkennen. Als eigenständige Kulturen bzw. Technokomplexe werden hierbei das Fakhurian, Kubbaniyan, Halfan etc. voneinander abgegrenzt. Erst zum Ende des Jungpaläolithikums, am Übergang zum Epipaläolithikum ändert sich diese Fundlage etwas, z.B. mit Fundorten wie der berühmten Nekropole vom Jebel Sahaba (Qadan-Kultur), die als ein frühes Massengräberfeld mit Hinweisen auf gewaltsame Konflikte gedeutet wird (S. 67).
Mit dem Frühholozän und damit dem Epipaläolithikum sind bahnbrechende technische Errungenschaften wie die Keramik verbunden (Kapitel 5). Gebrannte Tongefäße sind uns vor allem aus dem Sahara-Neolithikum der Westwüste und dem etwas jüngeren Khartum-Neolithikum bekannt, was zur Bezeichnung „Khartum-Saharo-Sudanese-Technocomplex“ (7./6. Jt. v. Chr.) geführt hat. An diese Innovation sind natürlich Veränderungen auch in der Lebensweise gebunden, die entscheidenden Einfluss auf die weiteren Entwicklungen hatten.
Ein erster als neolithisch anzusprechender Technokomplex im eigentlichen Niltal ist erst im 6. Jt. v. Chr. in Unterägypten zu fassen: das Fayumian (6./5. Jt. v. Chr.). Sowohl im lithischen Formenspektrum des Fayumian als auch in der etwas jünger angesetzten Merimde-Kultur (ca. 5000-3900 v. Chr.) sind Affinitäten zu den levantinischen Nachbarkulturen zu erkennen. Neben den einzelnen Fundkategorien geht G. J. Tassie nun auf die einzelnen Entwicklungsschritte und spezifischen Fundplätze wie Merimde, Sais und Omari ein. Wenngleich diese Fundplätze zumeist als „neolithisch“ bezeichnet werden, so handelt es sich doch noch nicht um permanent, sondern vielmehr saisonal genutzte Siedlungsplätze.
Etwas später als in Unterägypten setzt der Neolithisierungsprozess auch in Oberägypten (Kapitel 10) im späten 5. Jt. v. Chr. ein und ist hier mit Technokomplexen wie dem Tarifian, sowie Badari und Tasa verbunden, die zudem Einflüsse aus den angrenzenden Kulturkomplexen der Ost- und Westwüste sowie aus den südlichen Nachbarkulturen aufweisen. Die Zusammenhänge zwischen diesen teils auf engstem Raum existierenden Gruppen sind dabei bis heute noch Gegenstand der Forschung. Hierzu gehört auch die Debatte über die Eigenständigkeit der so genannten Tasa-Kultur, die in der Wissenschaft immer wieder diskutiert wurde und für die sich auch G. J. Tassie m. E. völlig zu Recht einsetzt (S. 266–282).
Der Entwicklung im heutigen Sudan widmet sich Tassie schließlich in Kapitel 11 und bespricht die einzelnen Technokomplexe wie das Abkan, Shamarkian bis in die jüngere Zeit des Kerma.
Im Kapitel 12, mit „The End of the Beginning“ lässt Tassie nochmals die wichtigsten Ergebnisse Revue passieren und geht kurz auf die einzelnen Erklärungsmodelle ein, die teils aus der Ethnologie und der Soziologie entlehnt zur Erklärung der frühägyptischen Entwicklungen Anwendung fanden. Dabei wird nochmals offenbar, welche große Bedeutung einschließlich für das weitere Voranschreiten der ägyptischen Kultur den einzelnen technischen und sozialen Entwicklungen während des Neolithisierungsprozesses zukommt. Der Band schließt mit einem Epilog, in dem der Bogen bis in die Kupferzeit mit der Staatsentstehung geschlagen wird.
Es folgt ein Appendix bestehend aus Chronologietabellen und Karten, die den derzeitigen Forschungsstand und die entsprechenden Grabungsorte der besprochenen Zeit zu verorten helfen. Ein ausführliches Literaturverzeichnis ermöglicht dem interessierten Leser eine intensive Weiterbeschäftigung. Der Index erlaubt, die gewünschten Informationen schnell abzurufen. Neben den schwarz-weiß gehaltenen Zeichnungen der besprochenen Funde und Karten, die sich nutzerfreundlich im Text selbst finden und den jeweiligen Fachpublikationen entnommen sind, befinden sich in der Mitte des Bandes acht weitere Farbtafeln, die vor allem namhafte Funde abbilden. Allein einige Tippfehler stören und können, gerade bei Personennamen (z.B. S. 268: Freidman & Hobbs 2002 anstelle von Friedman & Hobbs 2002), zu Problemen führen.
Wenngleich das Werk vor allem für das Fachpublikum angelegt ist, also Prähistoriker und Ägyptologen, wird auch der interessierte Laie seine Freude an dem Band haben. Es steht damit ganz in der Tradition älterer Bücher wie M.A. Hoffmans oder B. Midant-Reynes: Übersichtlich im Aufbau, flüssig geschrieben und reichlich bebildert liegt ein gutes Kompendium zur Entwicklung von Lebensweise und Technokomplexen im frühen Niltal sowie in den angrenzenden Nachbargebieten vor. Wichtig ist dabei zudem stets, dass gerade auch auf die ökologischen und klimatischen Verhältnisse Wert gelegt wird. Der von G. J. Tassie vorgelegte Band stellt somit den aktuellen Forschungsstand dar und gewährt dem interessierten Leser einen raschen Zugang zu dieser hochspannenden und komplexen Thematik.

11.03.2015
Robert Kuhn
G. J. Tassie, Prehistoric Egypt. Socioeconomic Transformations in North-east Africa from the Last Glacial Maximum to the Neolithic 24,000 to 6,000 cal BP. Golden House Publications, London 2014. 541 Seiten; 75 Pfund = ca. EUR 96,10
ISBN 978-1-906137-30-4
 
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