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Die Heilsmaschine

Um 1500 geht die Zeit großartiger Kunstwerke ihrem Zenit entgegen. Albrecht Dürer, Tilmann Riemenschneider und Matthias Grünewald, um nur die berühmtesten zu nennen, schufen ewig Schönes. Doch wenig später musste die nachfolgende Generation ansehen, wie die jüngeren Zeitgenossen auf die Bühne der Weltgeschichte stürmten.

Die 14 Kapitel gleichen szenischen Aufzügen, mit dem Flügelaltar als Kulisse. Vor ihm betritt das Personal, das auf ihn Bezug nimmt, nacheinander die Bühne. In der Einleitung und zu Beginn eines jeden Kapitels des überaus prächtigen Bildbandes werden Fotos von Details der Kunstwerke in einer Art Theater, Theatrum Sacrum, heiligem Spiel, auf einer Filmbühne gezeigt, als habe die Verehrung der Heiligen bis heute keinen Wandel erfahren.

Der Autor Kunsthistoriker Georg Habenicht geht von der Überlegung aus, dass die Kirche ein THEATRUM SACRUM war – mit dem Chorraum als zentraler Bühne und dem Flügelretabel als raumgreifende Bilderkulisse auf dem Altar – was ihn dazu bewog, das Thema selbst „auf die Bühne“ zu bringen. Die HEILSMASCHINE sei also im Grunde eine „AUFFÜHRUNG“.
Denn mit der Reformation hatte die Überzeugung Platz gegriffen, in die falsche Richtung gelaufen zu sein, getäuscht von der Visualisierung der Heiligen in Gemälden und Skulpturen. Wer wissen will, wie es zur Reformation kommen konnte, kommt – laut Georg Habenicht – an den Flügelaltären aus der Zeit um1500 nicht vorbei.

In 14 Kapiteln beschreibt der Autor, sprachlich lebendig wenn nicht sogar heiter, das allgemeine Geschehen der kirchlich Bediensteten und der Gläubigen im Angesicht der Flügelaltäre und ihres Umfelds. Es geht um das Personal der Flügelaltäre, die Wandlungen, den Heiligen als „Star“ der Inszenierung, den Stifter als Finanzier und Produzent und dem Künstler, dem „Werkzeug der 2-dimensionalen Illusion“. Ihm folgen dann der Konkurrent als „Werkzeug der 3-dimensionalen Illusion“ der Altarist, „im Rampenlicht“ und der Mesner, „hinter den Kulissen.

Doch es gibt auch Kritik, bzw. den „Kritiker gegen Illusion und Inszenierung“, und weitere Kapitel über den Gläubigen, der „mit geht“, gefolgt vom Bilderstürmer, der das Ende der Vorstellung einläutet. Es folgen dann noch Ausführungen über den Sammler, d.h. Entdeckungen aus dem Fundus, und der Konservator, der damit betraut ist, für eine „Überholung“ der Kunstwerke zu sorgen. Am Ende wird noch das Verhalten der Touristen untersucht „ein neuer Spielplan“ aufgestellt, um am Ende den „Deuter“ zu Wort kommen zu lassen mit der Überschrift „Flügel zu und alle Fragen offen“.

In der Tat, es bleiben Fragen offen. Das ist bis heute so und war immer so. Aber wer sich über diesen prachtvollen Bildband des theatrum sacrum hinaus über die Bildwerke der Hoch- und Spätgotik informieren möchte, dem sei die Ausleihe des Buches „Tripps, Johannes: Das handelnde Bildwerk in der Gotik. Forschungen zu den Bedeutungsschichten und der Funktion des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Hoch- und Spätgotik. 2. neubearb. u. erw. Aufl. 2000. Gb. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2000“ empfohlen. Leider ist das Buch vergriffen und auch im Antiquariat offenbar nicht mehr zu haben.

1.12.2016
Gabriele Klempert
Die Heilsmaschine. Der Flügelaltar und sein Personal. Georg Habenicht, Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 119. 496 S. 372 fb. Abb., 32 x 23 cm, Gb. Imhof Verlag, Petersberg 2014. EUR 99,00 CHF 124,00
ISBN 978-3-7319-0091-7   [Michael Imhof]
 
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