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Gottfried Semper – Architekt und Revolutionär.

Gottfried Sempers (1803-1879) Bauten und seine architekturtheoretischen Schriften waren und sind immer wieder einmal Thema wissenschaftlicher Arbeiten. Aber eine Biografie Sempers für ein breites Publikum fehlte bisher; mit diesem Buch liegt sie nun vor.

Es sind nicht wenige Stationen Sempers, mit denen wir hier vertraut gemacht werden. Die dänisch-deutsche Jugendzeit in Altona-Hamburg, Studien- und Reisejahre in Göttingen, München, Paris, Griechenland, Italien, die 1834 mit der Berufung als Professor für Baukunst an die Akademie der Künste in Dresden enden. Es sind Semper-Jahre die wie so häufig auch in diesem Jahrhundert geprägt sind von der Idealisierung der griechischen polis als Ort von Demokratie und Freiheit und ihrem deshalb auch als beispielhaft verstandenen architektonisch-künstlerischen Ausdruck. Für Semper eine Urform die, durch kulturhistorische Studien modifiziert, einen neuen, zeitgenössischen architektonischen Ausdruck finden sollte. Hier wird seine lebenslange Abneigung gegen architektonische Kopien, Eklektizistisches und die Schinkelsche Neogotik verständlich. Doch seine Zeit kann keinen gesellschaftlich-politischen Idealzustand liefern und Sempers Bauwerke spiegeln in aller Regel - deshalb? - eine modifizierte italienische Hochrenaissance wider. Eine Zeitbedingtheit, die hier nicht weiter thematisiert wird. Zu ausführlich dann jedoch seine architekturhistorischen Theoreme, vergleicht man sie mit den sparsamen Beschreibungen wichtiger Semper-Bauten wie etwa der ersten Dresdener Hofoper (1838-41).
Hier zeigt sich schon früh ein Sempersches Charakterikum, bei Ausschreibungen statt wie gefordert Entwürfe zu Einzelobjekten häufig Generalpläne unter Einbezug des gesamten Umfeldes zu liefern. In Dresden gelingt dieser Überraschungscoup, Semper erhält den begehrten Bauauftrag für die Hofoper. Und später kristalliert sich aus dem Dresdener Elbeforum-Generalplan der Bauauftrag für die Dresdner Gemäldegalerie (Sempergalerie, 1847-1854) heraus. Doch sein Generalplan für den Wiederaufbau seiner abgebrannten Heimatstadt Hamburg (1842) wird nicht akzeptiert, seine Entwürfe für den Wagnerschen Traum eines Münchner Festspielhauses samt Umfeld scheitern dramatisch (1864-66). Und am Ende seiner Karriere werden von seinem Generalplan Kaiserforum in Wien lediglich das Hoftheater und zwei Museen gebaut, jedoch wie so häufig bei Semperschen Entwürfen, von anderen Baumeistern modifiziert beendet. Bleiben, viele sind heute nicht mehr erhalten, realisierte Privatbauten und vor allem das Stadthaus in Winterthur (1865-70). Sempers Lieblingsbau wohl auch deshalb, weil er dort seine Idee einer Versammlungsstätte freier polis-Bürger architektonisch am ehesten verwirklicht sieht.
Denn das war er immer, Architekt und politischer Zeitgenosse, so versteht ihn auch die Autorin, den Revolutionär im Buch-Untertitel überlassen wir früheren DDR-Interpreten und dem Marketing des Buchverlages. Als steckbrieflich gesuchter Teilnehmer des Dresdener Aufstandes von 1849 mußte er dieses Engagement mit dem langjährigen Exil (1849 – 1864) in Frankreich, England und der Schweiz bezahlen, der hier auch dazu zitierte Briefwechsel mit seiner Frau ist ein beredtes, beeindruckendes Zeugnis dafür. Heimatlos fühle er sich, schreibt er einmal. Als Architekt oft zuerst auf das große Ganze zielend, mit dem absoluten Anspruch einer architektonischen Synthese zwischen Klassischem und seiner Zeit, vom Naturell her immer hartnäckig, oft kompromißlos, unruhig und unstet, manchmal nahe am Scheitern, so bildet er sich in diesem Buch ab – man muß es lesen. Denn flüssig-verständlich geschrieben, findet der Leser hier ein dank profunder Quellenkenntnis gelungenes Porträt von Semper und seinem Werk. Das sich auf dem Hintergrund einer Vielzahl von Beziehungsgeflechten zu einem Zeitbild des 19. Jahrhunderts verdichtet.
Zu empfehlen.

05.10.2020
Wolfgang Schmidt
Gottfried Semper. Architekt und Revolutionär. HildBr.and, Sonja. 256 S. 39 meist fb. Abb. 22 x 15 cm. WBG-Theiss Verlag, Darmstadt 2019. EUR 32,00.
ISBN 978-3-8062-4125-9
 
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