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Venedig. Die Unsichtbare

Wie durch Elliott Erwitts 1965 fotografierte venezianische GemĂ€lderahmen („Venice“) -die Casa dei Tre Oci in Venedig zeigte im Mai 2012 eine Werk-Fotoretrospektive- fallen unsere Blicke in das nachtdunkle, morgendĂ€mmernde, regenverwaschene, hochwassernasse, ja verschneite Gesicht der Stadt. Es ist schwarz-weiß, menschenleer, still. Der LĂ€rm des touristischen Malstroms, nicht hier. KanĂ€le, eine Gondelwerft (die letzte ?), das selten fotografierte Innere des Arsenals, BrĂŒcken, Palazzi, Kirchen, HĂ€user, PlĂ€tze, MĂ€rkte, GĂ€rten, ein Biennale-Pavillon, ein Leuchtturm, Inseln, erinnert oder unbekannt, scheinen aus diesem Gesicht herausgeschnitten. Erratisch und doch poetisch-mild kommen sie ins Bild, SolitĂ€re ohne Antworten, denen jede erwartete venezianische Verspieltheit fehlt. So bisher unsichtbar, bleibt mit diesen fotografisch- handwerklich zeituntypisch fotografierten
Anti-Klischees auch die Stadt als Kulisse hinter uns und es erscheinen Bilder einer Stadt hinter der Stadt. Aber sind diese Bilder Venedigs nicht auch ChimĂ€re, festgehalten nur im fotografierten Moment ? Ausdruck auch der romantischen Sehnsucht nach dem Erkennen des Bleibenden im Verschwinden(den), la recherche du temps perdu, fotografierte Zeitlosigkeit ? Doch Gottseidank in Bildlegenden verortet und so sogar möglicher Stadt-FĂŒhrer in dieses von Christoph Thomas fĂŒr uns fotografisch entdeckte schlafende Venedig, konzeptionell-thematischer Folgeband des prĂ€mierten „New York sleeps“ (Prestel, 2009). Überzeugend.

Albert Ostermeiers lyrische Begleittexte öffnen einen zweiten Bilder-Rahmen, in dem uns konstante Kleinschreibung und ein hĂ€ufig die SinnzusammhĂ€nge trennender Zeilensprung erwarten. Die fotografierten Objekte, meist Anlaß fĂŒr Elegien auf die Liebe, das UnerfĂŒllte, Verlassenwerden, Verschwinden. Ein atmosphĂ€risch kongruenter Assoziationsrahmen, der sich jedoch selten auf das einzelne fotografierte Objekt bezieht (wie an der Ponte delle Guglie). Die Texte wirken deshalb ein wenig zu traumverloren und poetisch ĂŒberzeugende Formulierungen wie SolitĂ€re ohne Basis, die so die fotografierten Objekte freilich auch trefflich ergĂ€nzen. Und an Ostermaiers lyrische Assoziationen zu den 24 Fotografien von Pietro Donzelli erinnernd (Wer sehen will, Insel-Verlag, 2008). Nicht ganz ĂŒberzeugend.

Prestel, Edel, bis MĂ€rz 2012 auch Corso. Seit drei, vier Jahren auch Produzenten von FototextbĂ€nden massenbewegender Zielorte (New York, London, Paris, Rom, Venedig, und, und ) in der anspruchsvollen Zeitlosigkeit schwarz-weißer Fotografien, literarisch-lyrisch moderiert: verdienstvoll. Verdienstvoll auch, weil sie wie gerade dieses Buch zeigen, was klug komponierte BĂŒcher sein können: ein Geschenk an Erinnerung und Imagination, Belohnung fĂŒr den Mut zum Abschied von Klischees und fĂŒr die Neugier auf das zeitlos Bleibende.

17.07.2012
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Venedig. Die Unsichtbare. Hrsg.: Christopher Thomas; Ira Stehmann. BeitrĂ€ge von Ostermaier, Albert. Mit Gedichten von Albert Ostermeier. 160 S. 80 s/w Abb. 28 x 30 cm, Prestel Verlag, MĂŒnchen 2012: EUR 39,95 CHF 53,90
ISBN 978-3-7913-4679-3
 
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