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Philip-Lorca diCorcia - Photographs 1975-2012.

Da ist ein Glanz, eine Aura.
Die Fotografien von Philip-Lorca DiCorcia mag man sich lieber im Original anschauen.

In der Schirn Kunsthalle waren sie bis September 2013 zu sehen, erstmals in Europa, die geheimnisvollen Bilder von Philip-Lorca DiCorcia. Steht man vor ihnen, ist man reichlich überwältigt: Da ist ein Glanz, eine Aura im Werk des 1951 geborenen US-amerikanischen Fotografen, eine Realitätsnähe, die in vielen Fällen mehr als irritiert. Man ist gefangen.

Blättert man in dem Buch zur Ausstellung stellt sich dieses Gefühl nicht mehr wirklich ein. Was kann ein Fotobuch überhaupt? Denken wir uns beim Blättern. Doch sicher: Auch im Buch erkennen wir den virtuosen Bildregisseur, der die immer wieder gestellte Frage nach der Abbildbarkeit der Realität auf hintersinnige Weise noch einmal formuliert.

An dieser Stelle sollen seine Serien nur kurz erwähnt werden. Mit seinen „Hustlers“ wurde er bekannt, die männliche Prostituierte in Los Angeles zeigen, aufwändig inszeniert. Melancholische, versonnene Bilder. Seine „Heads“ machten ihn berühmt: selbstversunkene Passanten am Time Square. Auch die Werkreihe „Streetwork“ hatte Passanten zum Thema. Wie Marionetten laufen sie über die Straßen von New York, Tokio oder Mexiko-Stadt. Alle Serien bis in die Gegenwart versammelt der Katalog, natürlich auch die bekanntesten Bilder von Philip-Lorca DiCorcia, wie etwa jenes der beiden weißen Rassehunde, die in luxuriöser Umgebung gebannt auf einen Bildschirm starren, auf dem ein Porno läuft. Die Arbeit ist Teil der neuen Serie „East Of Eden“.

Immer wieder ist dieses Werk als eines interpretiert worden, das Amerika als trauriges, melancholisches Land zeigt. Als ein Land der Enttäuschung auch, das seine Unschuld verloren hat, was sich in einem Serientitel wie „East Of Eden“ andeutet: Die USA sind ein Land jenseits des Paradieses. Diese Erkenntnis ist nicht wirklich neu, sondern, im Gegenteil, in der amerikanischen Fotografie immer wieder zum Thema gemacht worden.

„Ich sehe in diesem Land vor allem Enttäuschung und Frustration. Es bietet seinen Bürgern keine wirkliche, sondern nur materielle Befriedigung. Und wenn dieses System kollabiert, haben die Leute nichts mehr. Ihnen wurde so viel genommen, und nur die Reichen haben etwas zurückbekommen.“ So kommentiert der Künstler den Status Quo in seiner Heimat – und fertigt Bilder an, die tief verwurzelt sind in der Geschichte der amerikanischen Fotografie, der amerikanischen Kunst. Sein einsamer Reiter, der durch ein verbranntes Tal trottet: ein Richard Prince-Zitat. Eine andere Arbeit zeigt eine Frau auf dem Bett eines Hotelzimmers – sie könnte Vorlage eines Gemäldes von Edward Hopper sein. Oder Robert Frank und auch die Klassiker der amerikanischen Farbfotografie – viele Vorbilder hat Philip-Lorca DiCorcia.

Unheimlich sind die Bilder des New Yorkers. Subtil. Verunsichernd auch in ihrer Lichtstimmung, doch wenn wir erfahren, wie etwa das Hunde-Bild entstanden ist, dann sind wir erst einmal enttäuscht. Mit Hühnchen-Stücken wurden die beiden von einer Hundetrainerin dressiert. Auf dem Bildschirm lief in Wirklichkeit „Bambi“. Doch genau das, die Enttäuschung einer Erwartung, ist das Originelle bei vielen Fotografien von Philip-Lorca DiCorcia. Es ist nicht der Abgesang auf ein durch die Finanzkrise geschütteltes Amerika, der diese Bilder originell macht. Es ist die Tatsache, dass sie nicht das Versprechen der Fotografie halten, wahr zu sein.

Die Besucher der Ausstellung in der Frankfurter Schirn sind begeistert von diesen hyperrealen und gleichzeitig unheimlichen Bildern. Das Buch schafft es nicht ganz, eine solche Spannung aufzubauen. Fotografie gewinnt durch Größe an Suggestivität, durch Anordnung im Raum. Die Übertragung in das Medium des Buchs ist eine überaus schwierige Angelegenheit. Wer die Ausstellung mit wachen Augen gesehen hat, wird auf den Katalog vielleicht verzichten können, auch wenn ihm erhellende Texte beigegeben sind. Aber etwas anders würden wir uns wünschen: einen Film dieses so kinematografischen Fotografen zu sehen, der sein eigenes Schaffen einmal mit schlichen Worten resümiert hat: „Es fällt mir leicht, die Sachen so zu arrangieren, dass sie ein bisschen theatralisch wirken. Denn wir alle liefern täglich doch eine Performance ab.“

25.10.2013
Marc Peschke
Philip-Lorca diCorcia. PhotoART. Hrsg.: Dohm, Katharina; Hollein, Max; Beitr. Ribbat, Christoph; Dyer, Geoff; Dohm, Katharina. Dtsch/Engl. 208 S., 79 fb. Abb. 30 x 25 cm. Gb. Kerber Verlag, Bielefeld 2013. EUR 40,00. CHF 52,00
ISBN 978-3-86678-835-0
 
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