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Kriegskinder

Die Befreiung von Auschwitz und 75 Jahre Stalingrad. Welch ein Tod! Ich bin kurz nach dem Krieg geboren und insofern bin ich kein „Kriegskind“ und dennoch haben die Ereignisse des Krieges meine Kindheit bestimmt. Meine Mutter hatte angeblich „mit Adolf nie etwas zu tun“, doch ihre antisemitischen Sprüche erschreckten mich und ließen mich zweifeln. Erst entsprechende Dokumentationen im Fernsehen und der Besuch in einer KZ-Gedenkstätte öffneten mir als junger Mensch die Augen. Wie eng Mutter mit einigen Vertretern der führenden Nationalsozialisten verbunden war, kam erst nach ihrem Tod ans Licht.

»Was haben meine Eltern erlebt? Was hat sie zu denen gemacht, die sie heute sind?« fragt sich auch die Fotografin Frederike Helwig in dem Buch Kriegskinder. Diejenigen, die am Ende der 1930er-, Anfang der 1940er-Jahre geboren wurden und während des Zweiten Weltkriegs aufwuchsen, sind heute in ihrem achten Lebensjahrzehnt. Sie schauen zurück, sprechen teilweise zum ersten Mal darüber, was sie geprägt hat: Bomben, Flucht, Angst, Hunger, Krankheit, Tod, verschwundene Väter, überforderte Mütter, aber auch die Sprachlosigkeit der Nachkriegszeit – Erinnerungen an den Krieg und dessen generationsübergreifende Folgen sollten vergessen werden.

Die aufwendig gestaltete Fotopublikation enthält 45 analog fotografierte Porträts einer Generation, deren Erinnerungen bald verschwunden sein werden. Anhand zahlreicher Kindheitserinnerungen, die den Porträts der Zeitzeugen gegenübergestellt werden, ergibt sich ein komplexes Bild der Kriegskinder-Jahrgänge, die in der Zeit des Nationalsozialismus zur Welt kamen.

»So erinnern sich Viele bis heute an das Warten im Luftschutzbunker, an die Bombenangriffe, an die Angst der Erwachsenen, an die Leichen und Verletzten, die Gehenkten und die Selbstmörder, an zerbombte Häuser und das Spielen in den Trümmern. Viele haben deutliche oder diffuse Bilder von der Flucht und vom »russischen Feind«; sie spüren noch den Hunger und schmecken die Schokolade auf der Zunge, die ihnen ein amerikanischer Soldat zusteckte. Einige haben noch die befreiten KZ-Häftlinge vor Augen, die plötzlich vor der Haustür standen und um Brot oder Unterkunft baten, aber mit verhuschten Gesten und knappen Worten abgewiesen wurden.

Die Porträtierten hatten den Mut, sich der Kamera zu stellen und ihre Geschichten zu erzählen. Ihre Erinnerungen sind überwiegend anekdotisch, mit unterschiedlichem Maß an Selbstreflexion. Traumata oder transgenerationale Folgen kommen selten zur Sprache und spiegeln somit das bis heute übliche Schweigen. Der Betrachter ist deshalb aufgefordert, zwischen den Zeilen zu lesen, über die eigene Familiengeschichte zu reflektieren und einen Dialog über dieses schlimmste Kapitel der deutschen Geschichte zu beginnen. Es geht darum, sich auszutauschen und zu verstehen, welche destruktiven Folgen faschistische Systeme, Rassismus, Hass und Kriege haben, nicht um Anklage oder gar Verurteilung«, so Autorin Alexandra Senfft im Vorwort des Buches der Fotografin Frederike Helwig und der Journalistin Anne Waak.

Die Erinnerung an den Holocaust, an Auschwitz, Treblinka, Bergen-Belsen und die vielen anderen Todes- und Arbeitslager darf nicht verloren gehen. Dieses Buch trägt dazu bei.

02.02.2018
Gabriele Klempert
Kriegskinder. Helwig, Frederike. Engl.; Dtsch. 104 S. 45 Abb. 24 x 20 cm. Gb. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2017. EUR 35,00. CHF 44,00
ISBN 978-3-7757-4393-8
 
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