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Aenne Biermann - Ein Vermächtnis

Unter den Fotobuch-Inkunabeln der heroischen Zeit der Neuen Fotografie (Moholy-Nagys „Malerei Fotografie Film“, Renger-Patzschs „Die Welt ist schön“, Blossfeldts „Urformen der Kunst“, August Sanders „Antlitz der Zeit“ und die von Franz Roh und Jan Tschichold herausgegebenen Bände „foto-auge“ und „Fototek“ gehören dazu) war nur eine einzige einer Fotografin gewidmet. Es ist daher eine gleichermaßen kluge wie verdienstvolle Entscheidung, dass der Fotohistoriker Hans-Michael Koetzle und der Verlag Klinkhardt & Biermann diesen Band faksimiliert und neu aufgelegt haben: Mit dem Reprint des zuerst 1930 erschienenen Bandes „Aenne Biermann. 60 Fotos“ wird das Werk einer herausragenden Vertreterin des Neuen Sehens somit wieder greifbar.
Aenne Biermann, 1898 am Niederrhein geboren und seit 1920 in Gera lebend, kam Ende der 1920er Jahre zur Fotografie und entwickelte innerhalb weniger Jahre eine Meisterschaft, die seit 1928 durch Ausstellungsbeteiligungen und zahlreichen Bildveröffentlichungen in Zeitschriften, Illustrierten und Magazinen der späten Weimarer Republik gewürdigt wurde. Mit äußerster Präzision, unbestechlichem Blick und kühler Ästhetik widmete sie sich Portraits, Pflanzenteilen, Steinformationen oder schlicht den „Dingen“. Der Kunstkritiker Franz Roh gehörte zu ihren Entdeckern und reihte die Fotografin unter die Pioniere einer neuen Bildästhetik ein: 1928 wies er das Publikum im renommierten „Kunstblatt“ auf das Werk der Künstlerin hin. Zwei Jahre später realisierte Roh die nun wieder aufgelegte Monographie in der von ihm begründeten Buchreihe „Fototek“, in der zuvor nur ein Band über den Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy erschienen war.
Von der frühen Anerkennung ihrer Arbeit, die sich auch durch erste Museumsankäufe ihrer Werke niederschlug, konnte Aenne Biermann jedoch nur kurz profitieren: Am 14. Januar 1933, nur wenige Tage vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, mit nur 34 Jahren, verstarb die Fotografin in Gera. Das schnelle Ende der begonnenen Erfolgsgeschichte musste sie somit nicht mehr erleben: Als „Jüdin“ wäre ihr die Berufsausübung in Deutschland kurze Zeit später untersagt worden; die Monographie über ihr Werk sollte sich als bereits letzter Band der ambitionieren „Fototek“-Reihe erweisen, und der Großteil ihrer Aufnahmen ging bei der Flucht ihres Mannes nach Palästina 1940 verloren.
Es ist somit eine Art Vermächtnis der Fotografin, dass das einzige zu Lebzeiten erschienene Buch über ihr Werk nun neu erscheint: vollständig faksimiliert, inklusive des damaligen Vorworts, in der Typografie und dem Layout seiner Zeit – bis hin zu den Werbeanzeigen der Erstausgabe. Durch das kluge, präzise und den aktuellen Forschungsstand reflektierende Nachwort Koetzles steht die Neuveröffentlichung jedoch auch in unserer Gegenwart. Und den Anspruch von damals und heute verbindet, dass das Nachwort, wie schon das Vorwort, das Werk Aenne Biermanns gleich mit Blick auf ein internationales Publikum präsentiert: auf Deutsch, Englisch und Französisch.

17.04.2019
Rainer Stamm
Aenne Biermann. 60 Fotos. Koetzle, Hans-Michael; Roh, Franz. Engl.; Franz.; Dtsch. 80 S. 60 Abb. 25 x 17 cm. Klinkhardt & Biermann, München 2019. EUR 22,00. CHF 28,00
ISBN 978-3-943616-59-0
 
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