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Havelnacht

Hinter den ergrauten Schleusen.
Die Mark Brandenburg, das ist die Landschaft des Lyrikers Peter Huchel. Der 1903 in Lichterfelde geborene, 1981 in Staufen im Breisgau verstorbene Dichter fand hier, zwischen Schilf und Kiefern den Ort seiner frühen Literatur. „Hinter den ergrauten Schleusen, nur vom Sprung der Fische laut, schwimmen Sterne in die Reusen, lebt der Algen Dämmerkraut“, schreibt er in seinem Gedicht „Havelnacht“, das nun neben mehreren Dutzend anderen wiederveröffentlicht worden ist.
„Havelnacht“ heißt das in der Insel-Bücherei erschienene Werk, das die Lyrik Huchels vorstellt. Zeilen wie „Duft aus wie viel alten Jahren neigt sich hier ins Wasser sacht. Wenn wir still hinunter fahren, weht durch uns der Trunk der Nacht“ offenbaren den romantischen Geist der Natur-Lyrik eines Autors, der in der DDR nicht dazugehörte, so wie er später nach seiner Ausreise in die BRD auch nicht heimisch werden konnte.
Und so wurde die Erinnerung zur eigentlichen Heimat – auch die Erinnerung an eine Kindheit in der Gegend um Potsdam. An Wasser, Wälder. An Schilf, Nebel. An ein ewiges Grün. Es ist etwas Magisches in diesen Gedichten wie etwa in „Havelnacht“, das Anfang der 1930er Jahre entstanden ist.
Die Idee, die Texte Huchels mit Fotografien von Roger Melis zu illustrieren, liegt nah: Als Sohn des Bildhauers Fritz Melis wuchs dieser im Haushalt des Stiefvaters Huchel auf. Und so wie die Texte Huchels die Wunder der Natur beschreiben, vom Glück der Einsamkeit erzählen, von der Weite der Landschaft, von der Stille darin, von existentieller Naturerfahrung, so werden diese Texte von Melis‘ Schwarz-Weiß-Aufnahmen mehr als nur begleitet. Sie verbinden sich miteinander. Auch der Fotograf hat seine Kindheit in dieser Landschaft verbracht – und die Empfindungen, so denken wir beim Schauen und Lesen, müssen ganz ähnlich gewesen sein.
50 Gedichte und 22 zum Teil erstmals veröffentlichte, von Mathias Bertram ausgewählte Fotografien vereint dieser Band, ein „Pas de deux zweier Temperamente und Kunstformen“, wie der Verlag schreibt. Vor allem die schlichten Naturbilder von Melis überraschen, denn man kennt den 1940 geborenen und 2009 verstorbenen Bildautor ja vor allem als Fotograf Ost-Berlins und als begnadeten, subtilen Porträtisten.
Lutz Seiler hat in seinem Nachwort darauf hingewiesen, dass Melis das Leben auf dem Dorf, nah der Natur, als eine Art zweite Existenz verstanden hat. „Melis verstand zu warten, bis der Blick ins Offene ging, der Mensch sichtbar wurde, er bei sich war und sich zeigte.“ So hat der Schriftsteller Christoph Hein einmal die Kunst von Roger Melis beschrieben.
Und so ist es auch bei diesen stillen Natur-Bildern. Auch hier lohnte sich das Warten. Nichts Spektakuläres ist in den Fotografien, die beinahe ganz ohne Menschen auskommen. Stattdessen: Landschaft, Natur, im Rhythmus der Jahreszeiten. Wir sehen Bilder eines Lebens am Rande. Bilder einer vom Lauf der Zeit noch kaum berührten Welt. Poesie mit Bildern. Ein kleines, elegant gestaltetes Buch, das nah ans Herz geht.

02.11.2020
Marc Peschke
Havelnacht. Mit Fotografien von Roger Melis. Huchel, Peter. Hrsg.: Seiler, Lutz. 123 S., Abb. 18 x 12 cm. Gb. Insel Bücherei, Berlin 2020. EUR 14,00 CHF 20,90
ISBN 978-3-458-19487-3
 
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