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Frank Gaudlitz – OST. SÜD

Die Projekte des 1958 in Vetschau geborenen Potsdamer Fotografen Frank Gaudlitz haben ihren Ort oft in eher unbekannten Teilen Osteuropas. Das war schon bei seinem Buch „Warten auf Europa“ so. Hier fotografierte er Menschen, die er entlang der Donau bis zur MĂŒndung ins Schwarze Meer traf – eher spontan, aus dem Augenblick heraus.
FĂŒr das Buch „Casa mare“ hat er Menschen in den eigenen vier WĂ€nden, im Wohnzimmer fotografiert. An Orten, die bisher kaum ins Bewusstsein des „Alten Europa“ gerĂŒckt sind. MĂ€nner und Frauen aus dem mittleren und sĂŒdlichen Osteuropa, etwa aus der sogenannten „SchwĂ€bischen TĂŒrkei“ in SĂŒdwest-Ungarn, aus der Vojvodina in Serbien, aus dem rumĂ€nischen SiebenbĂŒrgen oder der Dobrudscha – oder aus Bessarabien in der Republik Moldau.
Das jetzt zu der gleichnamigen, retrospektiven Werkschau im Potsdam Museum (bis 31. Januar) erschienene Buch „Frank Gaudlitz: OST. SÜD. Fotografien 1986–2020“ stellt diese und viele andere Bilder vor: Bilder, die zeigen, dass Gaudlitz die Weltgeschichte genauso im Fokus hat, wie die kleinen Geschichten und Schicksale am Rande.
Immer wieder ist angemerkt worden, dass die Fotografien von Frank Gaudlitz eine enorme NĂ€he zu seinen Sujets ausstrahlen. Diese NĂ€he des Augenblicks der in Potsdam, La Paz, Moskau oder am Amazonas entstandenen Werke entsteht durch seine immense Neugier auf Menschen und auf ihre Eigenarten.
Seien es nun jene Ă€rmlichen Kinder, die auf die HĂ€userschluchten von La Paz blicken, gleichzeitig fixiert ein Hund den Fotografen, seien es die Roma-Frauen in ihren exotisch anmutenden GewĂ€ndern, Soldaten in sowjetischen Kasernen, Transsexuelle in Amazonien, seien es die Bewohner Potsdamer AbrisshĂ€user in den spĂ€ten 1980ern: Es ist eine große Vielfalt, die Gaudlitz einfĂ€ngt. Junge MĂ€nner, Teenager, faltige Ă€ltere Herren, Mönche und Bodybuilder. So entstehen ruhige, stille, kaum spektakulĂ€re, offen anmutende Portraits.
Stets scheint es Gaudlitz, der an der Leipziger Hochschule fĂŒr Grafik und Buchkunst bei Arno Fischer studiert hat, in seinem Werk auch darum zu gehen: kulturelle Traditionen sichtbar zu machen und dennoch Distanz zu ĂŒberwinden. „Fast ein Jahrzehnt reiste ich jĂ€hrlich mehrmals nach Russland, meist selbst finanziert, lebte in Kommunalkas statt in Hotels, schlief auf dem Boden, auf SchrĂ€nken oder in NachtzĂŒgen, wurde eingeladen, trank Unmengen Wodka und war so den Menschen sehr nah“, erinnert sich der Fotograf. Man darf froh sein, in einer Zeit zu leben, in der man diese Unterschiede, diese kulturelle Differenz, dieses Vorhandensein von Vielfalt immer noch wahrnehmen kann.
Das auch mehrere Essays umfassende Katalogbuch beschreibt die fotografische Reise und Lebensreise des Bildautors von Ost nach SĂŒd ĂŒber einen Zeitraum von langen 34 Jahren. Zu sehen sind etwa auch jene Bilder, die er auf den Spuren Alexander von Humboldts entlang der Sonnenstraße der Inka in den Anden fotografiert hat. PrĂ€sentiert werden auch neue Serien wie „Genese“, Gesteinsformationen im bolivianischen SĂŒdwesten – oder die SĂ©parĂ©es russischer Clubs und Nachtbars.
Doch scheint es, als brĂ€uchte Gaudlitz die Menschen, denn jene Bilder, die ohne diese auskommen, entfernen sich schneller aus dem GedĂ€chtnis des Betrachters. Gaudlitz‘ Werk, das auch Landschaften und Stillleben umfasst, ist da am stĂ€rksten, wo er LebensumstĂ€nde zeigt, wo er sich auf die Spuren der kulturellen IdentitĂ€t macht, wo er WĂŒnschen nachspĂŒrt, wo er Vorstellungen von GlĂŒck ins Bild bringt, wo er Alltag fotografiert. Sein Blick auf das Fremde ist stets geprĂ€gt von Respekt und Neugier. Nur so können solche Bilder entstehen.

03.12.2020
Marc Peschke
Frank Gaudlitz. OST. SÜD. Fotografien 1986–2020. Beitr.: FlĂŒgge, Matthias; Gaudlitz, Frank; Götzmann, Jutta; Schubert, Claudia. 184 S. 28,0 x 25,0 cm. Deutsch. Kerber Verlag, Bielefeld 2020, EUR 45,00. CHF 58,50
ISBN 978-3-7356-0698-3
 
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