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Pia Zanetti – Fotografin

Durchlässig werden.

„Eigentlich weiß ich nicht, wie es geht“, sagt Pia Zanetti. Dieses Nicht-Wissen darum, wie man das eine, das besondere Foto macht, dieser, wie die Schriftstellerin Nicole Müller geschrieben hat, „Zustand der Verwirrung, dieses akute, anfallsweise Nichtwissen“, das kann ganz offenbar helfen, solche wunderbaren Bilder in die Welt zu setzen, wie wir sie nun in einem neuen Buch finden, das ganz schlicht „Pia Zanetti. Fotografin“ heißt.

„Es ist“, schreibt Müller weiter über Zanetti, „als träte das Vergessen auf, um jene Leere herzustellen, in der die Fotografin den eigenen Platz räumt, um vollkommen durchlässig zu werden für die Dinge und Menschen vor der Kamera. Das ist ihre besondere Gabe. Diesen Raum zu schaffen, in dem sich die Menschen zeigen können.“

Fotografen und Fotografinnen schaffen Räume, in denen Menschen agieren. Dieser Gedanke kommt dem Betrachter immer wieder beim Blättern in diesem Buch. Sogar mehr noch: Räume, in denen die Menschen gleichsam erst lebendig und präsent werden. Die Fotografie von Pia Zanetti ist eine, die in vollkommener Weise das Zeitspezifische, das Momenthafte mit dem Universellen und Zeitlosen verbindet.

Diese Bilder, die jetzt auch – erstmals in diesem Umfang, kuratiert von Teresa Gruber und Peter Pfrunder – in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur zu sehen sind, entstanden auf der ganzen Welt. Sie wurden angefertigt zu einer Zeit, als es sich die besten Zeitschriften und Magazine noch leisten konnten, eine Fotografin weit, sehr weit, reisen zu lassen. Für Die Woche, Das Magazin, Du oder die NZZ bereiste die 1943 in Basel geborene Fotografin – die dort die Kunstgewerbeschule besuchte – ab den 1960er Jahren diesen Globus. Fotografierte auf Straßen, in Fabriken, in Fußballstadien, fotografierte im Auftrag von Hilfswerken und NGOs, fotografierte Glück und Unglück, Leid und Freude, lässt die Kamera zum Möglichkeitsraum werden, in dem etwas „passiert“.

Diese Reportage-Fotografin – die viele Projekte auch gemeinsam mit ihrem Mann, dem Journalisten Gerardo Zanetti, durchführte, mit dem sie auch in Rom und London lebte – hat in ihrem Leben so viel gesehen, hat so viel entdeckt. Eine ganz frühe Fotografie, die erste in diesem Band, ist vielleicht hervorzuheben: 1960 entstanden, zeigt sie junge, tanzende Menschen bei einem Konzert der Beatband „The Hurricans“. So wie der Sound die jungen Körper durchwirkt, so lässt sich Zanetti ihr Leben lang von den Situationen und Menschen, die ihr begegnen, umtosen. Lässt sich bestürmen, berühren – und lässt sich selbst durchlässig werden. „So viel Sinne – so viel Poren, soviel Blößen. Der Leib ist nichts als das poröse Ich“, schreibt der Philosoph und Anthropologe Ludwig Feuerbach: Durch diese Durchlässigkeit entsteht Sinnlichkeit.
Sinnlichkeit, hier oft evoziert durch Unschärfe als Stilmittel, Emotionen, Nähe, all das findet sich in Pia Zanettis Porträts von Schauspielern oder Autoren genauso wie in einer Reportage aus einer psychiatrischen Klinik in Nicaragua. Nicht so sehr der scharfe Blick auf eine Epoche macht ihr Werk aus, ist ihr Ziel, sondern die Fähigkeit, das Wesen der einzelnen Menschen sinnlich, duftend, atmend darzustellen – sowohl Schwarzweiß als auch in Farbe.
Dieses Buch ist ein Genuss. Texte von Nadine Olonetzky und Peter Pfrunder führen in das Werk ein, am Ende finden sich auch Abbildungen der damals gedruckten Reportagen. Hier kommt Wehmut auf: Denn so schön, wie man in den 1960er und 1970er Jahren Fotografien in Magazine brachte, so schön wird’s leider nimmermehr.

06.05.2021
Marc Peschke
Pia Zanetti. Fotografin. Hrsg.: Pfrunder, Peter; Trösch, Jürg; Beitr.: Pfrunder, Peter; Olonetzky, Nadine; Fotos von Zanetti, Pia. Deutsch. 196 S. 153 fb. und 199 s/w-Abb. 34 x 24 cm. Gb. Scheidegger & Spiess Verlag Zürich 2021. EUR. 48,00. CHF 49,00
ISBN 978-3-03942-008-7   [Scheidegger & Spiess]
 
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