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Das Werk. Technische Lichtbildstudien

Wer kennt sie nicht, die Fotoserien von Bernd und Hilla Becher zu zerfallenen Industriewelten aus dem Bereich der Schwerindustrie. Die Bechers katalogisieren Industrietechnik von deren Ende her, als Exemplare einer aussterbenden Art der Produktion, die sich in Nordrhein-Westfalen mit dem Zechensterben verbindet, ein Abgesang auf eine Epoche in protokollierter Sachlichkeit. Sie stehen damit in einer Tradition der Technikfotografie, an deren Anfänge das Fotobuch "Das Werk - Technische Lichtbildstudien" als Reprint der Ausgabe von 1931, erweitert um eine Einführung des Fotohistorikers Franz-Xaver Schlegel und einem umfänglichen Anhang, erinnert.
Das von Technik eine Faszination auch in künstlerischer Hinsicht ausgeht, ist so selbstverständlich nicht, zumal in der Zeit der 1920er Jahre, als die Technisierung vieler Lebensbereiche auch Ängste und Abwehr hervorrief. Wie sich die damalige gesellschaftliche und künstlerische Situation gestaltete, wird ausführlich von Schlegel angesprochen und so das Unterfangen des Verlegers Karl Robert Langewiesche von 1931, einen Überblick über zeitgenössische Technikfotografie zu geben, kongenial historisiert. Schlegel unternimmt dazu eine Zeitreise in den gesellschaftlichen und künstlerischen Diskurs zu Fragen von gesellschaftlicher Technikakzeptanz und künstlerischen Ausdrucksformen zum Thema Technik. Das gelingt Schlegel anscheinend mühelos, elegant, unterhaltsam und kenntnisreich. Neben dem heute noch bekannten Fotografen Albert Renger-Patzsch stehen heute nahezu unbekannte Fotografen wie Hans Finsler, Arvid Gutschow oder Paul Wolff. Der Reprint reist somit auch in die Fotografiegeschichte und zeigt, diese Fotografen brauchen einen Vergleich mit ihrem berühmt gewordenen Kollegen nicht zu scheuen. Er erinnert zudem an den Sohn des großen Rudolf Diesel, Eugen Diesel, der das Vorwort zur Ausgabe von 1931 schrieb. Er war offensichtlich genauso begeistert von den Möglichkeiten der Technik wie sein Vater. Sein Geburtsdatum stand zudem unter einem technischen Stern, denn 1889 wurde eines der häufig abgelichteten Bauwerke, der Eiffel Turm, erbaut.
Im wesentlichen werden technische Artefakte aus Metall gezeigt, Brücken, Türme, Innen- und Außenansichten von Fabriken und Fortbewegungsmittel zu Lande, Wasser und Luft. Fast alle sind stilistisch der damals aufkommenden Neuen Sachlichkeit verpflichtet, inklusive einiger Ausflüge in den Piktoralismus, einer Aufnahmemethode, die auf Wiedergabe atmosphärischer Stimmungen setzte. "Keine ausgefallenen Fotoexperimente", so Schlegel sollten es sein, die das zu fotografierende Objekt lediglich als "Vorwand für freie fotografische Experimente nutzten", sondern, bei aller Dramaturgie, etwa durch medienimmanente Möglichkeiten wie Kontraste, Perspektiven, sollte das Objekt klar erkennbar sein. Charakteristisch für die Neue Sachlichkeit auch, dass es ihr vor allem um die Schönheit des Funktionellen ging, der Mensch blieb in deren Darstellungen, bis auf wenige Aufnahmen, weitgehend ausgeklammert. Auch von Bedeutung, diesen Punkt spricht Schlegel deutlich an, angewandte und freie Fotografie wurden nicht als Gegensätze gesehen und es kam dazu zu einem ständigen Austausch zwischen Fotografie und Technik. Einerseits propagierte die Fotografie deren Schönheit, andererseits partizipierten Techniker von den Abbildungen und Aufnahmen der freien Fotografie fanden Eingang in die reine Gebrauchsfotografie, wo sie als "technische Lichtbilder" fungierten. Ein reger Austausch also und - das ist sehr spannend - Schlegel verweist darauf, auch ein reger gesellschaftlicher Austausch, denn Vereine von Amateurfotografen beteiligten sich ganz selbstverständlich an diesen neuen Formen der Fotografie.
Ein rundum gelungener Reprint also, der von einem umfänglichen Anhang "Materialien zur Editionsgeschichte" begleitet wird. Hier erhält man detailliert Einblick in die Entstehungs- und Wirkungszusammenhänge des Buches. Abgedruckt sind Geschäftsunterlagen von Karl Robert Langewiesche, die über Beschaffung und Honorierung ebenso Auskunft geben wie über seine Korrespondenz mit den Fotografen und - als Schmuckstück - umfassend zeigen, wie das Buch "Das Werk" von Kritikern und Publikum aufgenommen wurde.
Das von Langewiesche verlegte Buch "Das Werk" bot einen Querschnitt zum Stand der Technikfotografie und kam zu einer Zeit, auch daran erinnert Schlegel, als sich auch andere daran machten, die Welt aus Metall zu erkunden und abzulichten, darunter auch Frauen, deren Namen völlig in Vergessenheit gerieten: Elisabeth Fritze, Peggy Lemonius, Wanda von Debschitz-Kunowski darunter. Nicht mit einer Abbildung im Reprint vertreten, aber im Text von Schlegel erwähnt, die Fotografin Germaine Krull. Für ihr Portfolio "Métal" von 1927 lichtete sie Kräne, Brücken, Eisengerüste des Amsterdamer Hafens und andere technische Meilensteine der Moderne, wie die Metro in Paris, ab. Auf Vermittlung von Robert Delaunay konnte sie im Salon d'Automne ihre Kranfotos präsentieren, der Durchbruch war geschafft und sie veröffentlichte in der Folge für französische, belgische und deutsche Magazine Fotos. Sie war vielbeschäftigt, Kollegen wie Man Ray und Laszlo Moholy-Nagy erkennen ihren Rang, Walter Benjamin läßt sich von ihren Fotoarbeiten in seiner "Kleinen Geschichte der Photographie" inspirieren, eines der berühmten Fotos von Walter Benjamin stammt übrigens auch von ihr. Dieser Aufsatz von Benjamin war es auch, der die engagierten Fotogaleristen Ann und Jürgen Wilde auf die Spur von Germaine Krull brachten. Sie lernten sie kennen und erreichten, daß es 1977 zu einer Krull-Retrospektive in Bonn kam, schließlich wurden ihre Arbeiten auf der Documenta gezeigt. Nun haben Ann und Jürgen Wilde einen Faksimile-Reprint des legendären Fotoklassikers "Métal" aufgelegt, der durch außerordentliche Druckqualität besticht und der von einigen Texten, auch von Krull, begleitet wird.

Langsam kommt Licht in die Frühzeit technischer Lichtbildstudien, deren Pioniere entdeckt werden. Außerordentlich erfreulich ist die sorgsame Ausstattung beider Publikationen, die sich an jene wenden, die abseits der schnellen und häufig schlecht reproduzierten Bilder, das große stille Bild ansehen möchten und noch neugierig sind auf Fotografen und Fotografinnen, die kaum noch bekannt sind, deren Wirkung aber, das zeigen eindrucksvoll die Arbeiten der Bechers, enorm war.
Germaine Krull. Métal. Illustrierter Umschlag mit 64 losen Bildtafeln, 8 Titel- und Textseiten. Text: Germaine Krull, Florent Fels, Ann und Jürgen Wilde. 1000 numerierte Exemplare. Köln. Stiftung Ann und Jürgen Wilde. EUR 220,-
18.3.2006
Sigrid Gaisreiter
Das Werk. Technische Lichtbildstudien. Reprint der Ausgabe 1931 und Materialien zur Entstehung. Einf. v. Schlegel, Franz X. Vorbemerk. v. Diesel, Eugen. 96 S., 70 Duotone-Abb. (Die Blauen Bücher ) 26 x 18 cm. Br., Langewiesche, Königstein 2002. EUR 19,80
ISBN 3-7845-3560-7   [Langewiesche - Königstein]
 
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