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Wiederentdeckt: Die Fotografin Frieda Riess

Wurde man von ihr zum Tee eingeladen, dann hatte man es geschafft: Der Salon der 1890 im polnischen Carnkov geborenen Fotografin Frieda Riess, die einer wohlhabenden jüdischen Kaufmanns-Familie entstammte, war der place to be im Berlin der zwanziger Jahre. Doch sie war nicht nur eine Salon-Löwin, sondern vor allem eine gestandene Fotografin: Das 1918 eröffnete Atelier Riess am Kurfürstendamm war in den zwanziger Jahren eines der renommiertesten in Berlin – die Fotografin arbeitete zudem für populäre Zeitungen und Magazine.

Schauspieler und Schriftsteller, Künstler, Tänzer, Sportler, Bankiers und Politiker, die Malerin Xenia Boguslawskaja, der Maler Max Liebermann, der Boxer Erich Brandl, die Schriftsteller Gottfried Benn und Gerhart Hauptmann, der Kunsthändler Alfred Flechtheim, Claire Goll, Emil Jannings, Leni und Ernst Lubitsch, Marc Chagall und Asta Nielsen – sie alle ließen sich von Frieda Riess porträtieren, deren Karriere jedoch kurz war: 1932 emigrierte sie nach Paris, wo Riess vermutlich Mitte der fünfziger Jahre vollkommen verarmt und vergessen starb.

Jetzt zeigt eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie eine große – von einem Katalog begleitete – Retrospektive: 300 wiederentdeckte Abzüge sind zu sehen, zigtausende gelten heute als verschollen – Beispiele eines dezenten Avantgardismus, einer dynamischen Porträtkunst, die Wirklichkeitsnähe mit Tiefgründigkeit verbindet. So schrieb etwa der Dichter Max Hermann-Neiße über sein von Frieda Riess angefertigtes Porträt: „Wer dies Bild sah, wird mich erkennen. Und so voll Erkenntnis sind fast alle Porträtphotos der Riess.“

1925 hatte Frieda Riess ihre erste, gefeierte Einzelschau in der Galerie des Kunsthändlers Alfred Flechtheim – einige Jahre danach war sie vergessen. Ein kurzer Triumph einer eigenwilligen Frau. Man betrachte das Titelbild: 32 Jahre alt ist sie auf dem Selbstporträt mit Papagei. Der Vogel sitzt auf ihrer rechten Schulter, in leichter Bewegungsunschärfe, blickt in die Kamera. Und die Fotografin? Schaut nach rechts auf das Tier, konzentriert, liebevoll, ihm ganz zugetan. Eine surreale, sonderbare Fotografie. Eine echte Wiederentdeckung.
13.8.2008

Marc Peschke
Die Riess. Fotografisches Atelier und Salon 1918-1932 in Berlin. Hrsg. v. Beckers, Marion /Moortgat, Elisabeth. 208 S., 120 Abb. in Duoton 28 x 23 cm. Gb Wasmuth Verlag, Berlin 2008. EUR 39,80
ISBN 3-8030-3326-8
 
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