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Hotel Sehnsucht

"Der Nachmittag war grau und verlief träge. Ich pinselte vor mich hin, denn meine Fantasie hatte sich verabschiedet auf Nimmerwiedersehen, wohl verärgert, dass sie kaum gefragt war." Ein Bankangestellter würde das vielleicht nie bemerken, aber der Erzähler in der unglaublich phantastischen Geschichte, die in "Hotel zur Sehnsucht" erzählt wird, schon. "Was soll ein Künstler da machen? Wie sollte ich arbeiten, malen - wie weiterleben?" Und der Maler entscheidet sich schnell: "Was macht einer, der etwas verloren hat? Er steht auf und sucht."
So trägt uns Roberto Innocenti in eine Story, die der amerikanische Schriftsteller J. Patrick Lewis erdacht hat. Lewis hat seinen Text als Collage berühmter Dichter und ihrer unvergänglichen literarischen Erfindungen angelegt.
Aber, zur Freude des Augenmenschen: Es genügt völlig, sich die Bilder anzusehen, sie erzählen alles und sogar noch ein Quäntchen mehr. Da sitzt ein grauer Vogel außen am Fenster, innen stützt der Maler seine Wange in die linke Hand, während die rechte lange, gelangweilte Kringel auf das Papier pinselt. Er greift zur Landkarte, packt seine Tasche und fährt los, sein rotes Auto biegt ab, "irgendwie schien mein Wagen den Weg zu kennen.", biegt ab auf einen unbefahrenen Sandweg. Schilder stehen dort, "Zone sans TV", und die Warnung vor Zwergen und Drachen, die die Straße kreuzen könnten.
Das ist der Beginn eines wunderbaren Abtauchens in eine Welt, in der die Wirklichkeit nicht öde und platt und ohne Schlupfwinkel für eine andere Wahrnehmung ist. Der Maler erreicht das Hotel zur Sehnsucht, ein herrliches, uraltes Haus direkt am Meer, sturmumtost und umdonnert. Am nächsten Mittag, die See ist wieder ruhig, sitzen krumme Gestalten im Speisesaal. Stumm starrt ein Seemann vor sich hin, ein harter Knochen - es ist der Anführer der Meuterer aus Stevensons Schatzinsel. Andersens kleine Seejungfrau sitzt im Rollstuhl und stochert im Essen, am Nachbartisch, ganz grau, Peter Lorre. Wer noch alles auftaucht? Was sie alle verbindet?
Das Buch ist ein Anschauungsobjekt zum Thema Phantasie, das zurückführt in die vielen spannenden Bücher der Weltliteratur. Es lässt für den Leser Raum, sich einmal wieder selber etwas auszudenken. Roberto Innocenti, Pinocchio-Zeichner von Rang, hat herrliche Illustrationen für herrliche Assoziationen geschaffen. Ausgebrannt ist sein Künstler nach dieser Reise nicht mehr und auch wir als seine Mitreisenden sind es nicht.
Annegret Winter
Innocenti, Roberto: Das Hotel zur Sehnsucht. 2002. 48 S.. Gb EUR[D] 18,-
ISBN 3-7941-4945-9
 
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