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Künstler im Mittelalter

In den „Herzergiessungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ zeichnete Wilhelm Heinrich Wackenroder 1797 das Bild vom namenlosen und bescheidenen Künstler des Mittelalters. Dieses Bild herrsche, so Anton Legner in seiner Untersuchung „Der artifex“ in der Kunstrezeption bis heute vor und sei zu einem guten Teil von der Romantik erfunden worden. Legner, der von 1970 bis 1990 Direktor des Kölner Schnütgen Museums war, sieht in diesem Bild ein folgenreiches Klischee, das es zu entkräften gelte. Damit ist sein, 21 Kapitel umfassendes, Vorhaben im „artifex“ als Befragung der Selbstdarstellung von Künstlern in deren Schriftzeugnissen und bildnerischen Werken umrissen. Die Künstler des Mittelalters hätten, so Legners These in der Einleitung, in „Selbstdarstellungen und Selbstzeugnissen“ mehr Informationen über ihre Person hinterlassen, als gemeinhin angenommen“ werde.

Im Entrée spaziert Legner durch Kölner Museen und stellt das gesamte Spektrum mittelalterlicher künstlerischer Gewerke, Baumeister, Maler, Textil- und Buchkünstler, Holzschnitzer, Bildhauer und Goldschmied vor. Induktiv vorgehend, richtet sich Legners Werk an ein all-gemeines Publikum und an Kunsthistoriker. Letzteren bescheinigt Legner häufiger der „Mär“ von der Tätigkeit der anonym bleibenden Kunstschaffenden anzuhängen.

Das größte Problem, ein mittelalterliches Opus einem Künstler zweifelsfrei zuzuordnen, packt Legner umgehend an. In Fällen, in denen Urheber keine eindeutigen Hinweise hinterlassen haben, legt sich Legner sogleich mit jenen seiner Zunft an, die allein zu kunsttechnologischen Methoden der Bestimmung von Kunstwerken greifen, während er das Moment interpretatorischer Freiheit ins ‚Spiel‘ bringt. Das gelingt ihm virtuos und so weist er, bei Fehlen einer Signatur, den Schluss mancher Kunsthistoriker zurück, dass der Urheber damit absichtlich na-menlos habe bleiben wollen. Insofern verweist eine schwache oder fehlende Dokumentenlage für Legner nicht auf eine anonyme Tätigkeit des Künstlers, sondern auf „verloren gegangene Überlieferung“ und „verschüttete Dokumentenlage“. Als Beispiel für einen Verlust von Spuren führt Legner den Fall Matthias Grünewald (1475/1480-1528) an. Dass dieser vergessen sei, beklagte bereits Joachim von Sandrart (1606-1688) in dessen „Teutscher Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste (1675-1680), die, von der DFG gefördert, als kommentierte Edition online entsteht. Ein anderer Fall liegt bei Stefan Lochner (1400/1410-1451) vor. Eines seiner Werke authentifiziert Legner durch eine Notiz von Albrecht Dürer (1471-1528). An die Zunft der Kunsthistoriker richtet sich auch Legners Hinweis, bislang Künstlerinschriften, als Dokumente von Personalität „viel zu gering“ beachtet zu haben. Er weist auf die 2008 im Deutschen Kunstverlag erschienene, 1300 Seiten starke, Untersuchung von Albert Dietl „Die Sprache der Signatur“ hin, die den Signaturen mittelalterlicher Künstler als Freiräumen der Selbstdarstellung nachgeht. Vor welche Probleme Kunsthistoriker gestellt sind, zeigt sich an zwei weiteren Fällen. Zum einen gilt es Monogramme zu entschlüsseln, in anders gelagerten Fällen dagegen behalf man sich bei der Authentifizierung mit der Vergabe von Künstler-Notnamen.

Legner durchmustert in einer groß angelegten tour d‘horizon Anlässe, Formen, Medien und Themen in Selbstzeugnissen mittelalterlicher Künstler. Ein schönes Beispiel findet sich auf Seite 92, auf der die Turmskulpturen am, unter Giottos (1266-1337) Leitung 1334 entstandenen, Campanile von Florenz, abgebildet sind. Auch in weiteren Kapiteln geht es Legner um Korrekturen herrschender Ansichten. So verweisen die Selbstbildnisse eines Jan van Eyck (1390-1441) oder eines Albrecht Dürer, die gemeinhin in der modernen Kunstgeschichte als Beginn eigentlicher Porträtkunst und künstlerischer Selbstreflexion angesehen werden, auf mittelalterliche Vorläufer. Auch deshalb würde Legner entschieden Ansichten des Kunsthistorikers Werner Hofmann widersprechen, der im Katalog „Der Kult des Künstlers“ wiederholt, dass mittelalterliche Kunstwerke, „auch die bedeutendsten, meist keine Künstlernamen“ trügen und dem entspräche auch, dass es diesen Künstlern an „Schöpferstolz“ gemangelt habe, denn dessen Vorhandensein brächte „Kategorien hervor, die es im Mittelalter so nicht gab: das unwiederholbare Meisterwerk und dessen Schöpfer, das Genie.“ Dies fände, so Hofmann weiter, seine Entsprechung, „dass Malerei und Skulptur im System der Freien Künste nicht aufscheinen“. Zwar kann auch Legner nicht umhin, zuzugestehen, dass der artifex dem Stand der Handwerker bzw. den artes mechanicae zugeschlagen wurde und sein Metier vor allem durch praktische Übung erlernte, aber es habe sich im Mittealter bereits eine neue Sicht angebahnt, da man den artifex „durchaus nicht nur als Handwerker einschätzte. Mit einigen Beispielen relativiert Legner die zweite gängige Auffassung, dass der artifex durchweg als Hand- und nicht als Geistesarbeiter angesehen wurde. In diesen Zusammenhang gehört auch die im Schlusskapitel vorgenommene epochenübergreifende Gegenüberstellung von Artefakten. So schaut der „spätgotische Bildhauer von der Brüstung“ des Straßburger Münsters ganz ähnlich wie Cosmas Damian Asam (1686-1739) „aus der Kuppelschale der Weltburger Klosterkirche“ herab. Da Legner überzeugend geschichtliche Kontinuität der in den Kunstwerken bezeugten Individualität des artifex aufzeigen kann, stellt sich die Frage nach der Legitimität starker Epochenbrüche neu. Explizit befasst sich Legner in einem weiteren Kapitel mit Epochenkonstruktionen in der Kunstgeschichtsschreibung.

Weitere Aspekte, darunter das Verhältnis Künstler und Religiosität / Kirche oder Komik und Witz in der Kunst des Mittelalters behandelt Legner ebenso wie er Hinweisen auf Stifter in Kunstwerken im Kapitel der Dedikationsbilder nachgeht. Sehr informativ ist auch das Kapitel zum „Ort der Selbstdarstellung“. Kaum überraschend, der sakrale Bereich wie Kirchenbau, Kirchenportal, Kirchentür, Kreuzgang oder im Kircheninnenraum, sei es am Chorgestühl, an Ambo und Kanzel, im Sakramentshaus, an Altarretabel / Altargerät und am Reliquarium führt das Feld, gefolgt von Arbeiten an Stadttoren und Brunnen, an. Doch nicht nur Auftragsarbeiten führten die Kunstwerker aus, sondern schufen auch für einen Markt und boten die Ware im eigenen Ladengeschäft, auf Messen und Märkten feil oder vertrauten sie Händlern an. In diesem Punkt trifft sich Legner mit Petra Kipphoff, die langjährig im Ressort Kunst in der ZEIT beschäftigt war. Im Ausstellungskatalog „Der Kult des Künstlers“ behandelt die Autorin den Zusammenhang von Selbststilisierung und Kunstmarkt und führt aus, dass Selbstinszenierung weder ein modernes Phänomen sei, noch eines, dass ausschließlich darauf zurückzuführen sei, dass der moderne Künstler aus den Diensten für Kirche und Hof entpflichtet, für den Markt arbeite.

Zum Abschluss seiner gelehrten und publikumsfreundlichen Präsentation kommt Legner auf die Ausstellung „Kult des Künstlers“ zu sprechen. Dort sei die Kunst des Mittelalters nicht nur ausgespart (S.573), sondern erneut die „Mär“ anonym schaffender Künstler erzählt worden. Dies ist nicht nur der Fall, sondern die Ausstellung bot auch weniger als angekündigt und liegt damit gegenläufig zu Legners opus magnum, das als Anthologie aus Bildern und Texten, avisiert, mehr als diese bietet: ein umfassendes Kompendium zur Geschichte europäischen Kunstschaffens im Mittelalter. Der Band wird mit einem umfänglichen Apparat beschlossen. Ein Kunststück allein ist dessen erster Abschnitt, der Texte zum artifex in verschiedenen Formen, sei es als Traktate, Kontrakte, Chroniken, Briefe, Predigten, Reimpaarsprüche, Nachrufe, Legenden, Viten, Novellen, Sagen und Balladen, bereithält. Im Anschluss daran finden sich Anmerkungen, ein Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Personen- und Ortsregister sowie Bildnachweise.

Legner gibt den Projektionen unterschiedlicher Epochen auf den mittelalterlichen Künstler großen Raum. Dies als die Summe seines Forscherlebens ungemein gelehrt und ohne Effekt-hascherei präsentiert zu haben ist Legners großer Verdienst und verdient daher den europäischen Kunstgeschichtspreis 2009 und einen Auszug aus Adelbert von Chamissos Gedicht „Das Krucifix. Eine Künstlerlegende“: „Und auch vollendet ist ein Meisterstück“.

03.09.2010
Sigrid Gaisreiter
Legner, Anton: Der Artifex. Künstler im Mittelalter und ihre Selbstdarstellung. 600 S., 1000 fb. Abb. 31 x 24 cm. Gb iSch. Greven Verlag, Köln 2008. EUR 98,00
ISBN 3-7743-0420-3
 
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