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Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert

Mit seinem Blick auf die großen Künstlerpersönlichkeiten wie Picasso, Matisse, Beckmann, Max Ernst, Klee, Kandinsky, Mondrian, Leger Brancusi in jeweils wechselnden Winkeln und Themenstellungen, die er exemplarisch abhandelt, hält sich der Autor hierbei eng an die Traditionen und Institutionen, die die Kunst als kommunikatives System im 20. Jahrhundert entwickelte: es geht hierbei beispielsweise um die zunehmende Reflektion der "Sprache" der Bild-Oberfläche, die Institutionalisierung von Kunst durch das Ausstellungswesen, die allgemeine Fortschrittsgläubigkeit der zwanziger und dreißiger Jahre, den Verlust eines einheitlichen Betrachterstandpunktes und die Reflexion der ästhetischen Distanz bis hin zum Werk ohne Kunst (M. Duchmp). Schneedes Buch wendet sich nicht allein an Kunsthistoriker-KollegInnen; es ist ein populärwissenschaftliches Buch und eine reflektierte Darstellung. Schneede erzählt unaufgeregt und präsentiert nicht unbedingt allerneueste Forschungsergebnisse; insgesamt ist ihm geglückt, was die Künste heute mehr denn je zur Sprache bringen: Reduktion von Komplexität in der Beschreibung spezifisch ästhetischer Formen und Formulierungen. Mit seiner nüchternen Diktion gelingt es ihm fast mühelos zentrale Entwicklungsmomente der Moderne in ihrem jeweils aktuellen Kontext ihrer Betrachtung darzustellen und sachliche Parallelitäten aus unterschiedlichen Zeiten herzustellen. Die Darstellung der Konfrontaton zwischen dem Europa und Amerika der vierziger und fünfziger Jahre glänzen dabei nicht so sehr durch originelle Sehweisen, sondern durch den (geglückten) Versuch, die Beschreibung ihrer Entwicklungen durch konzentrierte Formulierungen zu bewältigen. Leider hat er dem Thema der Sprache in der (Konzept-)Kunst keine weiteren Überlegungen gegönnt; auch das heute unübersehbar gewordene Thema der Beziehungen zwischen Kunst und Naturwissenschaften fehlt.
Auch wenn einige Kapitel hinlänglich Bekanntes erneut referieren – demonstriert der Autor souverän seine Fähigkeit, den Blick auf das Einzelwerk mit der komplexen Perspektive auf Gegenwartsprobleme zu verknüpfen. Unbefriedigend bleibt jedoch Schneedes Versuch, Tendenzen der Gegenwartskunst auf griffige Formeln zu bringen. Das Leitprinzip einer "modusübergreifende Offenheit" (S. 302 ff.) als prägendes Zeichen der Moderne scheint mir etwas zu offen formuliert zu sein. Eher schon fördern etwa seine grundsätzlichen Überlegungen zur Benutzbarkeit (S. 305) ein angemessenes Verständnis der Probleme heutiger Kunstproduktion. Um dem permanenten Zwang der - durch die heutigen Medien beschleunigten - Entwertung sozialer Bedeutung zu entgehen, antworten die KünstlerInnen mit der List, die Beziehungen zwischen Bedeutung und Bezeichnung spielerisch zu erweitern, zu verkehren und zu transformieren. Kunst ist auch eine Kunst seinen eigenen (sprachlichen,visuellen) Gestaltungsspielraum zu erweitern.
Die Selbstwidersprüchlichkeit heutiger hochgradig außenbezogener „Kunst“, die heute häufig nicht von ungefähr mit sozialen Dienstleistungen verwechselt werden kann, kommt in Schneedes Darstellung allerdings zu kurz: er beschränkt Widersprüchlichkeit (S. 297) auf äußerliche Aspekte der Bildkomposition und nicht auf die Verhältnisse, unter denen Kunstkommunikation selbst widersprüchlich wird. Was KünstlerInnen heute inszenieren, (rhetorisch) behaupten und häufig am Rande der Selbstauflösung darstellen, erscheint auf dem schmalen Grat eines spezifischen (Kunst-)Kontextes gerade noch als Werk. Häufig wird diese Grenzform reflektierter (Kunst-)Wirklichkeit indirekt thematisiert, indem die Darstellungen ihre vordergründige und mehrdeutig gewordene Un-Sichtbarkeit betonen – auch um sich implizit mit ihrer eigenen Widersprüchlichkeit auseinanderzusetzen. Man merkt Schneedes Buch auf nahezu jeder Seite an, dass es von einem passionierten Kenner sowie einem (seit langem erfolgreich tätigen) Ausstellungsmacher geschrieben wurde. Das Kapitel, das in das Werk von Beuys einführt, zeugt von hoher Sensibilität gegenüber dem Künstler, der in und mit seiner Künstlerleben, so Schneede, exemplarisch "eine Art öffentliches Selbstexperiment" (S. 238) durchführte und dessen Aktionen zugleich verstörend und bezwingend (S. 239) wirkten. Zu Bruce Nauman schreibt Schneede, sein "Werk (ist) nicht so überaus kompliziert und komplex, weil er uns in die Irre führen will, sondern weil die Fragen nach der Kunst und der Welt (....) nur noch auf sehr komplexe und komplizierte Art angegangen werden können." (S. 249) Kunst(-geschichte) muß, so zeigt Schneede, keine fertigen Antworten parat haben, sondern bezieht ihre Stärke gerade auch aus der Fähigkeit zur Selbstreflexion anzuregen.
"Die Einzelfragen wollen wieder gebündelt, die Fragmente zusammengeführt werden" (S. 143) Dieser Band mit seinen hervorragend reproduzierten Farbabbildungen darf als ein im besten Sinne grundlegender wenngleich auch nicht auf vollständiger Überblick zur Kunst des 20. Jahrhundert gewertet werden. Die Lektüre wird ohne Einschränkungen empfohlen.
Michael Kröger
Schneede, Uwe: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. 2001. ca. 288 S., 120 Abb., davon 60 farb.. Gb DM 58,-
ISBN 3-406-48197-3   [C. H. Beck]
 
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