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Mangelnde Gewinnerzielungsabsicht - Uta Zaumseil & Peter Mell

Ein Buch ist etwas zum Lesen, ein Ausstellungskatalog dokumentiert eine Ausstellung und ein Künstlerbuch ist etwas ganz anderes. Uta Zaumseil, Holzschneiderin, und Peter Mell, Maler, leben und arbeiten seit vielen Jahren gemeinsam, ohne dass ein gemeinsames Werk entstanden wäre. Zwei Sätze – viele falsche Aussagen. Natürlich leisten Kataloge heute viel mehr, als nur Ausstellungen zu dokumentieren. Natürlich lässt sich das Werk der beiden Künstler nicht durch eine Technik definieren. Zu der Ausstellung in der Erfurter Kunsthalle entstand ein Buch, mit dem beide eine Bilanz ziehen, die angesichts der Vitalität ihres Schaffens nur eine Zwischensumme sein kann.

Das, was man gemeinhin Künstlerbuch nennt, bricht mit den Konventionen von Buch und Ausstellungskatalog. Es erlaubt sich mit Bildern auf eigene Weise umzugehen. Alle Konvention wird hier aber nicht über den Haufen geworfen, zwei kurze, instruktive Essays begleiten die Basisangaben zu den Künstlerviten. Den Hauptteil nimmt jedoch eine abwechslungsreiche Strecke von Bildern aus 15 Jahren ein. Die Ausstellung in der Kunsthalle Erfurt bot Zaumseil und Mell diese Gelegenheit, einmal die Vielfalt ihres Werkes auszubreiten, ohne dass ein geordnetes Verzeichnis entstanden wäre. In der Abfolge der Abbildungen, die sich vor dem blätternden Betrachter entfalten, lassen der gemeinsame Umgang mit Farben und die Faszination für Anregungen aus unserer gegenwärtigen Lebenswelt etwas ebenso Gegensätzliches wie Gemeinsames entstehen, einen Ton, der anders klingt als jedes Werk für sich.

Peter Mell ist ein Farbfeldmaler, der am l’art pour l’art (ver)zweifelt. Weil er ein politisch denkender Zeitgenosse ist, entschied er sich schon in den 1980er Jahren dafür, alle seine Bilder dem politischen Gefangenen Nelson Mandela zu widmen und das Bild mit einer Tagesdatierung zu versehen. Nachdem aus dem Gefangenen ein Präsident geworden war, wurden und werden die Bilder „Tibet“ genannt, um mit einem schreienden Unrecht unserer Zeit der Schönheit der Farben einen Kontrapost zu setzen. Daneben entstehen Zeichnungen vor der Natur, die nicht darstellen und die Fotografie bietet Mell eine andere Möglichkeit Bilder zu erfinden, nicht zuletzt als Arbeitsgrundlage für Übermalungen.

Darin treffen sich die Bildinteressen der beiden Künstler, denn für die gegenständlich arbeitende Druckgraphikerin Uta Zaumseil ist der Fotoapparat ebenfalls das Instrument, spontan Eindrücke zu sammeln, die in ihren Hochdrucken – Holz- und Linolschnitt, oft von der verlorenen Platte, meist in Unikaten – zu eigenen Bildern werden. Im Zusammendruck von Foto und Hochdruck können die Techniken auch eine direkte Symbiose eingehen. Die aus Alltag und Umwelt gewonnenen und nahezu photorealistisch umgesetzten Bildelemente stellt Zaumseil in Farbräume oder konfrontiert sie mit Strukturen, die nicht nur abstrahiert, sondern unserer Gegenstandswelt enthoben scheinen. Schnell erklärliche Sujets werden mit Chiffren kombiniert, an deren Entzifferung sich die Phantasie des Betrachters entzünden kann. Zaumseils Bilder erzählen in einer Weise von unserer Gegenwart, vom Lebensgefühl in nicht näher definierten Peripherien der Wirtschafts- und Gesellschaftszentren, wie dies gegenwärtig allenfalls in der Videokunst der Fall ist. Das befremdlich archaische der Holzschnitttechnik trifft sich mit der Banalität unserer Gegenwart.

Das Buch erzählt vom Leben auf dem Lande, vom Familienleben, von den Abgründen unserer Gesellschaft und dass eine Tasse mit Tee auch schön sein kann. Es erzählt also von vielem, aber ist nicht so vermessen, von allem erzählen zu wollen. Radikal subjektiv könnte man diese Weltsicht nennen, wenn dies nicht in Hinblick auf ein künstlerisches Werk eine Tautologie wäre.

Buch – und Ausstellung – tragen den Untertitel „Mangelnde Gewinnerzielungsabsicht“. Das ist Finanzamtsdeutsch, das die Qualität zum „Unwort des Jahres“ hätte, wäre nicht diese Kür ebenfalls ein Unding. Mit der Wendung mangelnder Gewinnerzielungsabsicht unterstellt der deutsche Beamte dem fremden Wesen des Freischaffenden, er sei kein Profi. Denn Professionalität ist bei uns gleichbedeutend mit Profit, der sich in versteuerbarem Einkommen niederzuschlagen hat. Ein Künstler, der keinen Profit erzielt, ist also kein Künstler. Danke, liebes Finanzamt, für diese schlüssige Erklärung, hatten doch viele bislang gedacht, dass es hier um schwer definierbare Zusammenhänge ginge. „Mangelnde Gewinnerzielungsabsicht“ ist auch diesem Buchprojekt – wie so vielen anderen Kunstbüchern – vorzuwerfen und das ist gerade der Profit, den sein Leser/Betrachter daraus ziehen kann. Das Buch dokumentiert und reproduziert nicht nur, es ist mehr als die Summe seiner Seiten.

31.07.2011
Andreas Strobl
Uta Zaumseil & Peter Mell. Mangelnde Gewinnerzielungsabsicht, Buch zur Ausstellung in der Kunsthalle Erfurt, Hrsg. von Kai Uwe Schierz, 260 S, zahlr. Abb., EUR 25,00
Das Buch ist nicht im Verzeichnis lieferbarer BĂĽcher gelistet aber dennoch zu beziehen unter: Kunsthalle Erfurt. Fischmarkt 7. 9084 Erfurt. Tel.: 0361 655-5660. Fax: 0361 655-5669. ww.kunsthalle-erfurt.de
ISBN 978-3-942727-01-3
 
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