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Roland von Bohr - Vom "Geheimbildhauer"

Berührend, um das Buch in einem Worte zu beschreiben. Unromantisch, unverkrampft, geradezu lakonisch stellt uns der inzwischen 87-jährige Architekt Peter von Bohr den Menschen und das Kunstwirken seines Vaters Roland vor – der zwischen 1899 und 1982 die drei Kaiserreiche Österreich, Rußland, Deutschland sterben sah und den weiteren Verlauf seines Lebens der Liebe zur Kunst, zum Menschen und vor allem zur Wahrheit widmete. Und sich dabei auch treu blieb, als (fast) alle untreu wurden.

Trotz des eigenen Miterlebens gelingt es Peter von Bohr die Geschichte des Vater zwar einfühlsam, doch unsentimental zu umreißen. Die vier Hauptkapitel: "Wegstationen", "Künstlerische Entwicklung", Werkstatt und Auftrag" sowie "Zeit und Leben" folgen einem dramatischen Spannungsbogen. Das verführt den Leser mehr und mehr zum Weiterlesen und so taucht er unversehens ein in den Strom der beschriebenen Zeitläufte, in die vorzüglich abgebildeten und feinsinnig gedeuteten Werke aus Bildhauerei, Malerei und Grafik, in die Selbstzeugnisse des Künstlers, gipfelnd und das Buch abschließend: "Meine Figuren ... befinden sich aber gegenwärtig im Depot, weil Platz für namhafte Dinge gebraucht wird. Ich habe mir in Anbetracht meiner langjährigen Wirksamkeit in solchem Sinne den Titel 'Geheimbildhauer' verliehen – mehr kann ich kaum noch werden."

Gleichsam im Vorbeigehen erfährt der Leser, wie Roland von Bohr die merkwürdigsten Lebensstationen durchstreift: Vom Geburtsort Wien noch als Kind nach St. Petersburg, vom reformbewegten Ascona in die Münchner Bohème, nach Hallein, Salzburg und in die Schweiz, auftragssuchend in die Türkei und nach Schweden, und immer wieder hin und her, von grotesken Anekdoten zu Freundschaften und erwiesener und eben auch versagter Anerkennung. Aus russischer Landidylle und Petersburger Noblesse zu Langhaar-Vegetariern im hakenkreuzgeschmückt-"gotischen" Gewand, die dem jungen Mann 1914 wohl zu imponieren wissen, geht es über die Wandervögel zu den k.u.k. Soldaten und ins aufgewühlte Wien der 1920er. Weiter und immer weiter durch fast das ganze 20. Jahrhundert.

Tiefgründig all die Einblicke in die Ateliers und Werkstätten seiner Lehrer "der alten Schule": Anton Hanak in Wien und Joseph Wackerle, München, bei Prof. Pfaffenbichler an der Fachschule für Holzbearbeitung, Hallstatt und in der Werkstatt für religiöse Kunst des Hanakschülers Jakob Adlhart in Hallein, an dessen spektakulärem "Schreckenschristus" für St. Peter in Salzburg Bohr mitgearbeitet haben soll.

Künstlerische Gewißheit und seine breite Ausbildung stützen Bohrs Treue zum Gegenständlichen, zum sakralen, aber auch gerne zum mythologischen Thema - selbst in späterer Zeit, als das gar nicht mehr modern war. Tolstoi schreibt: "Wo Inhalt ist, folgt die Form von selbst." Das gilt auch für Bohr. Früh schon findet er Ansporn, Hilfe und Halt an seiner künstlerisch mitwirkenden Gattin Eliza Bielfeld aus Arnstadt in Thüringen. Auch ihr Beitrag zum damaligen kulturellen Aufschwung Salzburgs ist bemerkenswert (dokumentiert in Band 32 der Schriftenreihe des Vereins der Freunde der Salzburger Geschichte, 2007). Bei all dem lassen uns Peter von Bohr, die Kunstwerke und zeitgeschichtlich aufschlußreiche Fotografien zu Weggefährten werden – ein Panoptikum der Geschichte, Lebens- und Kunstentwicklung, das wohl seinesgleichen sucht. Und trotz allerlei Einblicke in das Leben der Bohrs fern aller Spießbürgerei niemals peinlich, eher heiter gestimmt.

Herrlich die unverblümten Zitate zu den Erlebnissen des Künstlers mit deutschen Prachtexemplaren, Österreichern, Schweizern, Schweden, Russen und Juden. Bohr bleibt allen meist Fremder, läßt sich nicht nationalisieren. Sein Versuch, ausgerechnet in Küßnacht, der Stadt des Geßlerhutes, den österreichischen Buben zu geben, endet in einem Steingewitter der fanatisierten Straßenjungen. Das belehrt.

Der Bildhauer Bohr findet seine Gestalt vom Kleinen zum Großen, vom ornamental durchbrochenen "Gewurle" einer an mittelalterliche Mystik erinnernden Schnitzkunst zur stillen, antiker Grabplastik folgenden Archaik. Im holzgeschnitzten Schachspiel von verblüffender Individualität bis zum letzten Bauern, Porzellan feinglatt perfektionierend, doch dann auch nur derb, dafür vielsagend verkürzte Materialität und Form der Großfigur in und an Architektur, an Autobahnen und im Brunnen. Die für Clemens Holzmeister erschaffenen Allegorien für das alte Salzburger Festspielhaus, der "Thukydides" vor der Münchner Staatsbibliothek und der "Kundschafter-Brunnen" vor St. Stephanus in Nymphenburg, der "Petrus" für den Dom zu Lund, die reich figurierten Säulen der Rüschlikoner Bruderschafts-Kapelle sowie die markanten Köpfe von Karajan und Cosima Wagner seien als bekanntere Beispiele Bohrschen Kunstschaffens benannt. Nicht zu vergessen die so feurigen Pastelle aus München, duftige Aquarelle, umwerfende Porträtskizzen. Früchte eines Lebenswerkes, erschaffen nicht ohne Humor, aber manchmal auch mit Zweifel und in Verzweiflung. Peter von Bohrs Buch bietet von allem etwas und läßt uns so der Entwicklung seines Vaters und dessen überzeitlichem Stilempfinden folgen. Auch in den mehr oder minder stark vom jeweiligen Auftraggeber "mitgestalteten" Werken.

Fazit: Wer sich den Sinn für eine menschliche Kunst und Schöpferkraft, für den Menschen an sich und seine Sehnsucht nach dem Eigentlichen bewahrt hat, wird dieses Kunst- und Künstlerbuch lieben. Beim Rezensenten, dessen Kinderzeit durch die im Familienkreis erlebte Zusammenarbeit seines kirchenbauenden Architektenvaters mit dem Bildhauer Roland von Bohr verwoben war, ist das zumindest gelungen.

Konrad Fischer, Hochstadt am Main, www.konrad-fischer-info.de
am Main, www.konrad-fischer-info.de


22.10.2012
Konrad Fischer, Hochstadt am Main
von Bohr, Peter. Roland von Bohr (1899 - 1982). Leben. Werk und Selbstzeugnis eines Bildhauers. VIII, 294 S. 238 z. T. fb. Abb. 28 x 24 cm. Gb. Roderer Verlag, Regensburg 2012. EUR 64,95.
ISBN 978-3-89783-742-3
 
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