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Egon Friedell - Der geniale Dilettant - Karl Reichhold - Vasenmalerei

Egon Friedell, der "Shakespeare der Geschichtsschreibung", war weder Kunsthistoriker noch Kulturhistoriker, dass er aber ein Meister des unvoreingenommenen Auges war, zeigt sich daran, wie er in seiner Kulturgeschichte Griechenlands über die rotfigurigen Vasen vom Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. schriebt:
"Auf der Schale des Sosias verbindet Achill den verwundeten Patroklos: unübertrefflich ist sowohl die ganz in die heikle Arbeit versunkene peinliche Aufmerksamkeit des Achill wie die physische Qual des Patroklos wiedergegeben: er wendet den Kopf ab, streckt ein Bein weg, ja lächelt sogar vor Schmerz, eine besonders feine Beobachtung."
Geboren als Sohn eines jüdischen Tuchhändlers am 21. Januar 1878 in Wien, wurde Egon Friedell nach dem Tod seines Vaters zusammen mit seinen beiden Geschwistern von Vormündern betreut. Seine Schulzeit war kompliziert: Der unangepasste Schüler wechselte häufig die Schulen; teils kasperte er sich frech durch die Klassen, teils wurde er von Schülern sowie Lehrern so sehr gemobbt, dass er seine Vormünder herzzerreißend um Hilfe anflehte. Dennoch wird er später eine Lanze für die alten, sogenannten toten Sprachen brechen: "man wird ohne die Schule des Lateinischen nie ein vollkommen präzises, klares und flüssiges Deutsch und ohne Bekanntschaft mit dem Griechischen nie ein philosophisches Deutsch schreiben lernen;"
Bevor er in Peter Altenberg, Alfred Polgar, Franz Theodor Csokor und der Schauspielerin Lina Loos treue Weggefährten fand und Schauspieler unter Max Reinhardt wurde (1922 bis 1927), studierte er Philosophie (u.a. im protestantisch dominierten Heidelberg, wo er zum Protestantismus übertrat) und promovierte 1905 über "Novalis als Philosoph".
In Wien, wo er sich bürgerlich gepflegt mit Haushälterin einrichtete, wurde er in der Kultur der Caféhäuser zum Feuilletonisten, Kabarettisten und Schauspieler. Glanzstück war und bleibt ein Einakter über Goethe, entstanden und uraufgeführt 1908, in dem der Dichterfürst anstelle eines Prüflings in die Deutschprüfung über seine hehre Person geht - und schmählich scheitert! Natürlich spielte Friedell höchstselbst die Hauptrolle! Die letzte Aufführung des erfolgreichen Stückes war am 7. Februar 1938 im Theater an der Wien. Zu diesem Zeitpunkt waren Friedells bisher erschienenen Bücher längst verboten und sein Name aus dem "Kürschner" verschwunden. Emigrieren wollte er um keinen Preis, obwohl ihm viele dazu rieten. Als am 16. März 1938 um 22 Uhr SA-Leute an der Wohnungstür die Haushälterin nach ihm befragten, sprang er aus dem Fenster.
Dem Literaturwissenschaftler Bernhard Viel ist mit seiner Biographie zum 75. Todestag des Schriftstellers und Schauspielers ein packender und fundierter Text über den "heiteren Philosophen", "kulinarischen Sybariten" und "schauspielernden Dichter-Anarch bürgerlichen Gepräges" gelungen; leider geht seine Liebe zum Detail auf Kosten eines großen Handlungsbogens.

Friedells Hauptwerke, die Kulturgeschichten Ägyptens und des Alten Orients (1936) sowie Griechenlands (1940, posthum erschienen) und der Kulturgeschichte der Neuzeit (1927-1931), werden immer noch gerne gelesen. Ihr andauernder Erfolg ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass Friedell KEIN Kulturhistoriker war und dass er mit Sprache umgehen konnte wie kein zweiter (siehe oben zu den alten Sprachen). Studierende (nicht nur) der Geisteswissenschaften dürften nach wie vor von seinem ganzheitlich geprägten Blick auf das Phänomen Kultur profitieren.

Die Redaktion:
Außerdem möchte Daniela Ziegler unbedingt auf ein Buch aufmerksam machen, dass zwar nicht lieferbar ist, aber dennoch interessant sein dürfte.

Hommage an Karl Reichhold

Nur unter Bewachung am Sondertisch und mit sauber gewaschenen Händen darf der Bibliotheksbesucher die drei wertvollen alten Foliobände "Furtwängler-Reichhold, Griechische Vasenmalerei, München 1900ff." benutzen.
Mit liebevoller Präzision hat der Zeichner Karl Reichhold die dreidimensionalen Vasenkörper und ihre Bemalung in die Ebene gebracht. Mühelos kann man Beginn als auch Fortsetzung der auf der Vase erzählten Geschichte "nachlesen", kein Detail verschwindet im Dunkel des Fotohintergrundes, und die Figuren erscheinen nicht in grotesker Verzerrung der Gliedmaßen. Eine Standardleistung also, die vor etwa hundert Jahren zusammen mit dem Archäologen Adolf Furtwängler (1853-1907), dem Vater des Dirigenten Wilhelm, entstand.
Im Gegensatz zu Adolf Furtwängler kennt kaum jemand den Zeichner Karl Reichhold. In Ranuccio Bianchi Bandinellis kritischer Einführung in die Klassische Archäologie bezeichnet ihn der Autor herablassend als "äußerst fähigen Zeichner", merkt aber an, es sei "leichter, eine Vase nach zweidimensionalen Zeichnungen zu reproduzieren, als sich mit der schwierigen photographischen Wiedergabe der gekrümmten und spiegelnden Oberfläche eines Gefäßes zu beschäftigen". Und: Durch Reichholds Zeichnungen "wurde von der griechischen Keramik ein akademisches und kaltes Bild verbreitet". Ob das stimmt, was Bianchi Bandinelli da behauptet?
Der Verleger Ernst Heimeran (19.6.1902-31.4.1944; er gründete 1922 den Ernst-Heimeran-Verlag) bringt in seinem Büchlein "Lehrer, die wir hatten" seinem Zeichenlehrer Karl Reichhold, genannt "Sehtihrleut" - offenbar dessen unermüdliche Aufforderung an die Schüler -, und speziell dessen Zeichnungen eine kleine Hommage dar. Zwar kümmerten sich die Schüler des Münchner Alten Realgymnasiums wenig um "die komischen Drucke, die da an den Wänden des Zeichensaales herumhingen, Tafeln mit schwarzen Figuren auf rotem Grunde und Tafeln mit roten Figuren auf schwarzem Grunde, lauter Götter, Helden, Fabelwesen - schrecklich ermüdend. ... er hätte sich wohl nie träumen lassen, daß gerade sein unbegabtester Schüler (Ernst Heimeran, d.R.) im späteren Leben eine Leidenschaft für seine komischen schwarzroten Zeichenbilder an den Wänden da entwickeln würde. Es erstaunte mich dann selber. Denn nie war im Unterricht von diesen Tafeln die Rede. Sie hingen einfach da, sie bedeckten die Wände, sie erhoben keinerlei Anspruch darauf, beachtet zu werden und wurden auch nicht beachtet, so schien es. Und dennoch sind sie auf diese stille, abwartende Weise in mich eingedrungen."
Und Heimeran schwärmt: "Er hatte sie selbst gezeichnet, mit erstaunlicher Treue gegen die Originale, die sich mittels Photographie nie befriedigend abbilden lassen. Jeder Freund der Antike kennt das berühmte, in Gemeinschaft mit dem Archäologen Furtwängler entstandene Tafelwerk der griechischen Vasenmalerei, das man der Kunst eines Zeichenlehrers verdankt." (Seht, ihr Leut', so scheiden sich die Geister.)

Titel: Furtwängler, A., Reichhold K.W., Hauser, F., Griechische Vasenmalerei. Auswahl hervorragender Vasenbilder, 1900-1932, München Fr. Bruckmann, drei Bände im Folioformat (nur antiquarisch erhältlich; in großen Universitätsbibliotheken einsehbar)
Bianchi-Bandinelli, Ranuccio, Klassische Archäologie. Eine kritische Einführung, C.H. Beck München, 1978. ISBN 3-406-06769-7 (vergriffen)
Heimeran, Ernst, Lehrer, die wir hatten, Ernst Heimeran Verlag München 1954. (vergriffen)


Daniela Maria Ziegler
Egon Friedell. Der geniale Dilettant. Viel, Bernhard. 352 S. 82 Abb. 22 x 14 cm. Gb. C.H. Beck Verlag, München 2013. EUR 24,95. CHF 37,90
ISBN 978-3-406-63850-3   [C. H. Beck]
 
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