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Der zweite Aufbruch in die Moderne - Walter Müller-Wulckow und das Landesmuseum Oldenburg

Walter Müller-Wulckow (1886 – 1964) ist als Herausgeber der vier blauen Bücher „Bauten der Arbeit“, „Bauten des Verkehrs“ und „Bauten der Gemeinschaft“ sowie des Bandes „Die deutsche Wohnung der Gegenwart“ bis heute im Bewußtsein der Architekturhistoriker der Moderne verankert. Die vier Bücher versammeln, oft in bunter Reihe, Beispiele aller möglichen Facetten des Bauens zwischen 1900 und 1925 und reichen vom Heimatstil über den Wilhelminismus und den Gartenstadtgedanken bis hin zum Funktionalismus und zum Bauhaus. Einzig (weitgehend) den frühen Peter Behrens und die Wiener Früh-Moderne blenden sie bis hin zu späteren Bauten Joseph Hoffmanns wohl bewußt aus. Gabriele Klempert hat diese innerhalb der Reihe der „Blauen Bücher“ herausragenden Bände in ihrer Geschichte des Langewiesche-Verlages als grosso modo progressive Ausnahme-Erscheinung gewürdigt. Walter Müller-Wulckow wurde zu Beginn der zwanziger Jahre Gründungsdirektor des Landesmuseums in Oldenburg und blieb dies über alle drei Systeme hinweg. Derartige Kunsthistoriker-Karrieren sind durchaus nicht ungewöhnlich. So überdauerten so integre Museumsmänner wie Paul Ortwin Rave oder Leopold Reidemeister ebenfalls alle drei Systeme, allerdings nicht durchgehend am selben Museum. Zweifellos war Müller-Wulckow ein Förderer, Sammler und Propagandist der heute klassischen Moderne, der nicht nur für sein Museum, sondern auch für sich selbst wichtige Werke erwarb, wie für sich selbst etwa Kirchners heute im Moderna Museum Stockholm befindliche „Marzella“. Ebenso zweifellos sah er die Grenzen einer musealen Präsentation der Moderne im weitgehend ländlich geprägten nordwestdeutschen Raum, den er für die Moderne noch nicht für reif genug hielt. Dennoch erwarb er für sein Museum Hauptwerke von Ernst Ludwig Kirchner, Otto Müller oder Paula Modersohn-Becker. Den im Land Oldenburg tätig gewesenen Brücke-Malern stand er aufgeschlossen gegenüber. Allerdings achtete er beim Aufbau der Sammlung darauf, eher landschaftlich gebundene oder populäre Sujets anzukaufen. Trotzdem wurden auch diese 1937 (mit insgesamt 103 Werken) als „entartet“ beschlagnahmt und sind zum Teil heute in anderen Museen, zum Teil auch verschollen. Der vorliegende Band, der als „Der zweite Aufbruch in die Moderne“ betitelt wird, rekonstruiert den Sammlungsbestand und gibt einen Überblick über das Wirken dieses Museumsmannes. Durch ein heute durchaus nachvollziehbares Taktieren, das die Autorin des Aufsatzes „ambivalent“ nennt, versuchte Müller-Wulckow, Werke des frühen Expressionismus stilistisch und auch thematisch aus der Aktion „Entartete Kunst“ herauszuhalten, was ihm nur in Einzelfällen (bei einem frühen Beckmann – Nach der Arbeit. Der Strand von Wangerooge - etwa) auch gelang. Ambivalent war das eigentlich nicht, denn die Beschlagnahme-Kommission des Hermann Göring war sicherlich kein Forum, dem gegenüber objektive kunsthistorische Aufklärungsarbeit zu leisten war, sondern vor dem es galt, zu retten, was noch zu retten war. Dass Müller-Wulckow im eigenen Haus einen schweren Stand hatte, belegen die Intrigen seines Mitarbeiters Werner Meinhof, übrigens des Vaters der Ulrike Meinhof, der als strammer Nazi auf den Direktorposten hinarbeitete, wie es Peter Bahlmann detailliert darstellt. Beide Beiträge belegen die Durchsetzung nationalsozialistischer Positionen auch in einer Kulturinstitution in der Provinz. Das Wirken Müller-Wulckows vor der NS-Herrschaft wird in Beiträgen über die „Vereinigung für junge Kunst“ (Anna Heckötter), über Künstlerkreise (Jörg M. Henneberg) und Bauhaus und Wohnreformerisches (Ingo Kerls/Leif Hallerbach) dargestellt. Rainer Stamm gibt einen Überblick über Müller-Wulckows etwas „einsame Position“ in Oldenburg, die sich auch in seiner isolierten Stellung innerhalb der Kollegenschaft bekundet zu haben scheint. Sein an bürgerlichen Wohnformen orientiertes Ausstellungskonzept, das besonders der mittelalterlichen Kunst nicht gerecht wurde und das wohl zu Recht z.B. von Max Sauerlandt kritisiert wurde, und eine gewisse Sprödigkeit der Person machten ihn offenbar zu einem Einzelkämpfer der Szene, der aber manchmal über das ihm Mögliche sehr wohl hinausdenken konnte, so wenn er Karl Schmidt-Rottluff Monumentalfresken im Oldenburger Schloß antrug, sie aber aus finanziellen Gründen nicht realisiert werden konnten. (Dass Hanna Stirnemann 1930 als Leiterin des Stadtmuseums Jena (S. 27) die erste Museumsdirektorin in Deutschland gewesen sei, wie Stamm schreibt, ist zu bezweifeln. Bereits zehn Jahre zuvor hatte z.B. Luise Straus-Ernst, die erste Frau von Max Ernst, interimistisch das Walraf-Richatz-Museum übernommen.)
Dabei hatte Müller-Wulckow sich als Kunstkritiker und Vortragender in Frankfurt durchaus eine Position erarbeitet, die man, hier am Anfang seiner Karriere stehend, durchaus als polyglott und vielseitig beschreiben kann. Als Kritiker und Publizist wies er früh auf ihm wesentliche Künstler hin und beriet z.B. das Sammlerehepaar Hermann und Rosy Fischer in Frankfurt. Deren hochkarätige Kollektion moderner Kunst bot ihm die Sammlerin nach dem Tod ihres Mannes für das Landesmuseum Oldenburg an. Müller-Wulckow musste ablehnen und so gingen die 24 wichtigen Bilder von Frankfurt aus an die Galerie Moritzburg bei Halle, für die Max Sauerlandt sie erwerben konnte. Diesen Aspekt und vor allem die eigene Sammlung Müller-Wulckows behandelt Rainer Stamm im Katalog „Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet“ des Museums Giersch. Schon hier, bei dem frühen Sammler Müller-Wulckow wird deutlich, dass jener qualitativ Unterschiedliches sowie stark auch Dekoratives zu einer Wohninszenierung zu verbinden wusste. Die Gemälde von Christian Rohlfs kontrastieren eigenartig zu dem fast monumental zu nennenden Familienbild der Müller-Wulckows von August Babberger. Hier scheinen die Wurzeln für seine spätere Auffassung von musealer Präsentation zu liegen. Seine geistige Statur klingt in den Bänden an verschiedenen Stellen an. So wird er als „unpolitisch“ oder „anpassungsfähig“ charakterisiert. Wie aber der Publizist zu seinen Werturteilen und Wertungen fand, das wäre noch einer genaueren Untersuchung wert, denn diese sind – selbst bei einem weniger differenzierteren Instrumentarium, als es der Kunstgeschichte heute zur Verfügung steht – ungewöhnlich genug. So, wenn er 1930 Hoetgers Skulpturen am Bremer Gewerkschaftshaus nur mit Rembrandt vergleichbar findet und gleich auch noch den „Rembrandtdeutschen“ als Gewährsmann herbeizitiert. Hier tun sich Widersprüche im Denken eines Protektors der Moderne auf, die für die Nachgeborenen schwer nachvollziehbar bleiben.

Rainer Stamm (Hg.), Der zweite Aufbruch in die Moderne. Expressionismus – Bauhaus – Neue Sachlichkeit. Walter Müller-Wulckow und das Landesmuseum Oldenburg 1921 - 1937.

Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet. Künstler, Händler, Sammler. Ausstellungskatalog Museum Giersch. Frankfurt/M. 2011.

Eine Untersuchung über die Korrespondenz Walter Müller-Wulckows mit Gerhard Wietek wird im Oldenburger Jahrbuch 2013 erscheinen.

28. 7. 2013
Jörg Deuter
Der zweite Aufbruch in die Moderne. Expressionismus – Bauhaus – Neue Sachlichkeit. Landesmuseum Oldenburg 1920–1937. Hrsg.: Stamm, Rainer; Beitr.: Bahlmann, Peter; Beitr.: Hallerbach, Leif; Beitr.: Heckötter, Anna; Beitr.: Zietlow, Julia 304 S. zahlr. Abb. 28 x 24 cm. Gb. Kerber Verlag, Bielefeld 2011. EUR 48,00. CHF 60,00
ISBN 978-3-86678-570-0
 
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