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Faces - Eine Geschichte des Gesichts

Zehn Jahre lang sammelte der bedeutende Kunsthistoriker Hans Belting Material, um seine phänomenale "Geschichte des Gesichts" zu schreiben. Doch muss gewarnt werden: Um eine echte Geschichte handelt es sich nicht. Bei der Würdigung des einfallsreichen Spiels mit dem Gesicht, das der Mensch seit Jahrhunderten in künstlerische Form bringt, nimmt Belting bestimmte Aspekte ins Visier. Nur die augenfälligsten seien hier aufgeführt: Albrecht Dürers konsequente Selbstinszenierung als Jesus, Rembrandts "Revolte gegen die Masken" in seinen demaskierenden Selbstporträts, Cindy Shermans Anpassungsgeschick an historische Posen, wobei ihr Gesicht selbst Wandlungen von weiblich zu männlich vollzieht, Francis Bacons "entfesselte Gesichter" und Ingmar Bergmans Film "Persona", der vom Gegenüber zweier Gesichter spricht, die vielleicht ja doch nur ein einziges sind. Und nicht zuletzt lässt Belting Johann Caspar Lavater (1741-1801) sprechen, der den wahren Kern einer Person mit Hilfe der sogenannten Physiognomik wissenschaftlich enthüllen wollte, da man mit dieser Methode "durch das Äußerliche eines Menschen sein Inneres ... erkennen" könne.
Ist das Gesicht in seiner Wandlungsfähigkeit und seiner Ausdrucksstärke nicht eigentlich eine Maske, die sowohl zeigt als auch verhüllt? Die als undurchdringliches Zweitgesicht vor dem eigenen, wirklichen liegt? Schließlich hat man ja nicht nur ein Gesicht, sondern man macht auch eines, was so viel heißt, dass wir Maskengesichter tragen, je nachdem, wer wir zu sein wünschen. Eine "Unschärfe zwischen Gesicht und Maske" besteht, so Belting, so rasch geht der Wechsel zwischen beidem vonstatten. Rainer Maria Rilke beschreibt in seinem Malte Laurids Brigge sogar Gesichter, die verschleißen: "Es gibt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab ..." Gesicht oder Maske, das ist hier die Frage - oder ist es eben keine Frage, weil das Gesicht sowieso nur eine Maske sein kann?
Und wenn dem so ist, dann können auch Maske bzw. Porträt den Menschen ersetzen und vertreten, die vom Verstorbenen abgenommene Totenmaske etwa, der Totenschädel, dem man ein Gesicht aufmodellierte, sowie die anmutigen Mumienporträts aus dem ägyptischen Wüstensand; alles in allem zeremonielle Zweitgesichter, die für den Verstorbenen eintreten. Und was im Tod gilt, kann auch im Leben gelten, etwa in der Renaissance, als Porträts hochgestellter Personen in symbolischer Präsenz dort eine soziale Funktion erfüllten, "wo die dargestellte Person abwesend war und trotzdem ihre Rechte vertreten lassen wollte".
Ist eine "Geschichte des Gesichts" denn wirklich wichtig, oder ist das darin Gesagte gar neu? Zweifellos. In einer Epoche, in der das menschliche Angesicht als Ausdruck von Persönlichkeit und Erfahrung auf die Beliebigkeit von Facebook herabgesunken ist, ist sie bedeutsamer denn je.

28.08.2013
Daniela Maria Ziegler
Belting, Hans. Faces. Eine Geschichte des Gesichts. 342 S., 134 Abb. dav. 58 fb. 24 x 17 cm, Gb. C.H. Beck Verlag, München 2013. EUR 29,95 CHF 43,50
ISBN 978-3-406-64430-6   [C. H. Beck]
 
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