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Philipp Bauknecht – Davoser Bergwelten im Expressionismus.

Die Ausstellung "Davoser Bergwelten" im Museum Würth in Künzelsau (bis 2. November 2014, danach im Kirchner-Museum, Davos) holt einen Künstler aus der Vergessenheit, der von seiner kunsthistorischen Bedeutung her an die Seite eines Max Beckmann und Ernst-Ludwig Kirchner zu stellen ist: den deutschen Expressionisten Philipp Bauknecht (1884-1933). Der Katalog zur Ausstellung ist ein Werk im allerbesten Sinne, denn die Textbeiträge der Initiatoren, Kuratoren und Galeristen Thorsten Sadowsky, Beat Stutzer, Iris Wazzau und C. Sylvia Weber treten hinter die Arbeiten des wiederentdeckten Künstlers zurück und dienen lediglich zur Orientierung. Bauknechts Arbeiten gliedern sich in acht Themen- bzw. Lebensabschnitte und sind auf 128 von insgesamt 192 Seiten des aufwendig gestalteten Katalogs abgebildet.

Der 1884 in Barcelona als Sohn eines deutschen Uhrmachers geborene Philipp Bauknecht besuchte zwischen 1902 und 1907 in Nürnberg die Schreinerfachschule, bildete sich zeitgleich zum Kunsthandwerker weiter und spezialisierte sich auf die Innenarchtitektur. Zwischen 1907 und 1910 studierte er an der Stuttgarter Königlichen Kunstgewerbeschule bei Bernhard Pankok. 1910 erkrankte er als 26-jähriger an Tuberkulose und reiste zur Genesung nach Davos: Die gesundheitliche Krise wird zur künstlerischen Chance; in Davos wird er zum Bildenden Künstler. Auch nach seiner Genesung - den Kriegsdienst verweigert er - blieb er in der Davoser Bergwelt, die ihm bleibende Inspiration für seine ausdrucksstarken Bilder war. Vor allem in seinen frühen Darstellungen der Davoser Landschaften (zwischen 1910 und 1914), die mitunter spätimpressionistisch-pointillistische Anklänge zeigen, ist er noch dem Jugendstil verpflichtet. Nachdem er aber den Menschen - und nicht zuletzt die Tiere - der Bergwelt entdeckt, hat er den Weg zum Expressionismus gefunden. In seinem Bild "Hirtenjunge mit blauer Ziege" (1919/1920) mit den wie Spielfigürchen wirkenden weidenden Ziegen kombiniert er violette Vertikalen mit hellgrünen Horizontalen, und die fernen Berge sind von so wuchtiger Präsenz, dass sie den Hirten im Vordergrund fast zu erdrücken scheinen; im Bild "Bauernpaar mit Vieh" (1916-1920) oder "Kegler auf der Alp" (vor 1924) zeigt er sich als Meister der skurrilen Überzeichnung. Eine übermächtige rhythmische Spannung zwischen Motiv und Farbe findet sich in den "Heuträgern" (1924), den "Holzhauern im Wald" (1926/27) sowie den "Waldarbeitern" (1926), in denen er die harte Arbeit der Bergbewohner dokumentiert. In diese Reihe gehört auch das Bild "Schwinger" bzw. "Ringkämpfer" von 1924, auf dem zwei Männerkörper mit langen nervigen Armen vor einer Bergkulisse und Zuschauern im Kampf so ineinander verschlungen sind, dass sie wie eine einzige Figur erscheinen; es fällt schwer, die beiden Individuen voneinander zu scheiden und festzustellen, wo die Arme, wo die Köpfe hingehören. Das Bild thematisiert den Konflikt zwischen zwei Künstlern, nämlich Ernst-Ludwig Kirchner und Philipp Bauknecht. Kirchner war seit 1917 in Davos, die beiden Künstler lernten sich kennen, Kirchner trug zur Förderung Bauknechts bei, sie porträtierten sich gegenseitig, überwarfen sich aber aufgrund verschiedener Lebensanschauungen. 1925 brach die Freundschaft endgültig auseinander: Der asketische Bauknecht konnte den zur Trunksucht neigenden Kirchner nicht mehr ertragen.
Isoliert vom zeitgenössischen Kunstschaffen und Künstlerkollegen war Bauknecht trotz seiner Krankheit nicht: Er beteiligte sich an Ausstellungen in Davos, München, Berlin, Stuttgart etc.; im Mannheimer Kunstverein gar fand 1930 eine Einzelausstellung mit seinen Werken statt. Auch hat er geheiratet, und zwar die Niederländerin Ada van Blommestein, aber die 1925 geschlossene Ehe ging nach vier Jahren in die Brüche; nach seinem Tod 1933 war sie es, die seine Bilder vor dem Zugriff der Nazis rettete und nach Baarn in Holland brachte.
Wiederentdeckt wurde Bauknechts Oeuvre erst 1960 durch den Kunsthändler Joop P. Smid, und die Davoser Galeristin Iris Wazzau ist es, die sich seitdem unermüdlich für den vergessenen Künstler einsetzt.

29.07.2014
Daniela Maria Ziegler
Philipp Bauknecht 1884 - 1933. Davoser Bergwelten im Expressionismus. Stutzer, Beat. Hrsg.: C. Sylvia, Weber. 192 S. 28 x 23 cm. Ln. Swiridoff Verlag, Künzelsau 2014. EUR 34,00. CHF 51,00
ISBN 978-3-89929-287-9   [Swiridoff]
 
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