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Das Kunstmuseum – Über veränderte Museumslandschaften

So widersprüchlich der Untertitel von Grasskamps neuestem Buch klingt, so widersprüchlich positioniert sich das Museum in der modernen Gesellschaft. Das Museum ist zum Wirtschaftsfaktor geworden, es geht um Kaufen und Verkaufen, um bejubelten Gewinn und gefürchtete Verluste, um Quoten, Besucherrekorde und Erfolgsdruck. Die vier traditionellen Aufgaben des Museums - Sammeln, Bewahren, Erforschen und Ausstellen - sind längst nicht nur hinterfragt, sondern umgedeutet.
Das Museum als Institution der Bildung hat seinen Umbruch schon längst hinter sich. Längst ist es kein Elfenbeinturm und kein Reliquienschrein mehr, sondern hat sich der Eventkultur angepasst, Audioguides, Cafeterien und Museumsshops gehören zur Ausstattung seit Jahren dazu, und die Vermietung von Museumsräumen für Firmenfeiern und Modenschauen ist keine Ausnahme mehr, sondern ein willkommener Zugewinn für den Musentempel - und trägt zum Prestige einer Firma bei. Wer da als herkömmliches Museum in einer mittelgroßen Stadt oder als etabliertes Stadtteilmuseum nicht mehr mitkommt, muss wegen zu hoher Kosten und zu geringer Besucherzahlen schließen. Die Zeiten, in denen man für eine Mark einen beschaulichen Sonntagmorgen im Städtischen Museum verbringen konnte und alte Bekannte in Form von liebgewordenen Meisterwerken traf, sind längst passé. Viele bedauern das. Die meisten aber lieben es, per Edu- bzw. Histotainment bespaßt zu werden. Sie kennen es nicht anders.
Hört man da in Grasskamps Standortbestimmung eine gewisse Bitterkeit oder Resignation heraus? Vielleicht, aber sicher nicht nur:
So zeigt er zum Begriff "Ausstellen" (siehe oben) am Beispiel des Wilhelm-Hack-Museums in Ludwigshafen die Kehrseite, das "Verbergen", zu der das herkömmliche Museum seit seinem Anbeginn gezwungen ist. Denn kein Museum kann (und will) alles ausstellen, worüber es verfügt, sondern hortet, bewahrt, ja verbirgt das meiste in seinen mitunter riesigen Magazinen. Dort ist alles, was als zweitrangig gilt, derzeit in der Kunstszene nicht beliebt ist, restaurationsbedürftig o.Ä. ist. Während manche Museen einen eigenen kleinen Raum mit dem Titel "Blick ins Magazin" anbieten, hat man sich bei der Neugestaltung des Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museums 2009 entschieden, "Alles" zu zeigen, das heißt: insgesamt 9000 Exponate! - und so war auch die Schau betitelt. Keine schlechte Idee, die ihren Sinn damit erfüllte, dass eine der nächsten Schauen "Hackordnung" hieß: Die Entscheidung zur Hängung von Kunst folgt eben üblicherweise einer Hierarchie, und die ist dem Zeitgeschmack geschuldet.
Ein wenig beachteter Aspekt des "Bewahrens" ist die Arbeit der Restauratoren, die, wie der Autor bemängelt, neben gewichtiger "Direktorenprosa" in keinem Katalog zu Wort kommen. Dabei gäbe es zur Arbeit hinter den Kulissen eine Menge zu sagen, zum Beispiel dies: Wenn ein Kunstwerk wegen Materialermüdung zerfällt (Grasskamp führt als Beispiel Plastiken von Naum Gabo, 1890-1977, in der Tate Modern Gallery an), was tun? Restaurieren? Beizeiten eine gute Kopie herstellen? Diese als Original ausstellen, das Original im Magazin belassen? Und überhaupt: Ist eine gute Kopie nicht eigentlich sowieso besser? Vermittelt sie nicht wie das Original das Wesen des Kunstwerks? Fragen, die in der Kunstgeschichte offenbar selten gestellt wurden. (Tatsächlich scheint es vor allem in der Klassischen Archäologie schon seit langem üblich zu sein, Sinn und Unsinn von Ergänzungen breit zu diskutieren.)
Wer die Institution Museum liebt, ob als beschaulichen Ort vergangener Zeiten oder als multimedialen Ort des visuellen Abenteuers, sollte das neueste Buch des Kunstkritikers und -historikers lesen und sich inspirieren lassen - für den nächsten Museumsbesuch.

13.05.2016
Daniela Maria Ziegler
Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion. Grasskamp, Walter. 187 S. 10 Abb. 21 x 12 cm. C.H. Beck Verlag, München 2016. EUR 18,00.
ISBN 978-3-406-68841-6   [C. H. Beck]
 
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