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Eternauta – Der-durch-die-Ewigkeit-Reisende

Es gibt wahrscheinlich wenige Länder der Erde, in denen ein Comic zur Nationalliteratur zählt – Argentinien ist eines davon. „Eternauta“, zu deutsche etwa: „Der-durch-die-Ewigkeit-Reisende“, heißt das 1957-1959 in Fortsetzungen publizierte Epos, das diesen Status erlangte. Es liegt, dank der Unterstützung zahlreicher deutscher und argentinischer Kulturinstitutionen, erstmals in deutscher Übersetzung vor, als monumentales, knapp 400 Seiten starkes Querformat, im Programm des Berliner Comic-Spezialisten Avant-Verlag.
Nun ist „Eternauta“ von seinem künstlerisch-visuellen Anspruch her – der in einem Medium, wie dem Kunstbuchanzeiger naturgemäß am ehesten interessiert – durchaus konventionell. Der Zeichenstil, durchgängig schwarz-weiß, hält sich streng an eine gleichförmige Abfolge der Bilder, orientiert sich an der (am filmischen Storyboard geschulten) Ästhetik amerikanischer Comics der 30er und 40er Jahre, vor allem der Superhelden-Serie. Auch die Erzählung erscheint, was dem Erscheinen als Zugabe in der Wochenendbeilage für die Zeitung geschuldet ist, kaum ungewöhnlich. Sie ist streng auf Action, auf die unerhörte Pointe, auf den „Cliffhanger“ gebürstet, um den Leser bei der Stange zu halten – was man der Story keinesfalls vorwerfen sollte, da das Verfahren (im Gegensatz zu manch langatmiger „Graphic Novel“ jüngerer Zeit) auch heute noch funktioniert.
Spannung pur also – doch worum geht es und warum avancierte das Werk zum Klassiker der argentinischen Nationalliteratur? Es geht um einen Angriff Außerirdischer auf das kleinbürgerliche Leben in einem Vorort von Buenos Aires im Jahre 1963, das eine Gruppe von fünf versprengten, erfindungsreichen Protagonisten zu Widerstandskämpfern gegen unbekannte Mächte werden lässt. Was als Rahmenerzählung beginnt – der „Eternauta“ kommt ins Haus eines Comiczeichners und berichtete ihm seine Geschichte, die dieser aufzeichnet – endet, indem der Comicerzähler den „Eternauta“ zu seiner Familie begleitet, um festzustellen, dass alles wahr ist – bzw. wahr sein wird: denn die Rahmenerzählung spielt gut 4 Jahre vor der Binnenhandlung.
Die mit Utopie, Ausnahmezustand, gesellschaftlichem Zerfall, Bürgerkrieg und Angst gepaarte Zeitschleife des „Eternauta“ erinnert frappierend an Chris Markers geniales Filmexperiment „La jetée“ (1962), aus dessen Vorlage Terry Gilliam später den Spielfilm „Twelve Monkeys“ entwickeln sollte. Auf beide Filme verweisen allerdings die Vor- und Nachworte zur deutschen „Eternauta“-Ausgabe nicht – was zwar ein Versäumnis sein mag, aber angesichts der Komplexität der vermittelten Inhalte halb so wild erscheint. Denn die drei beigegebenen Essays führen den Leser auf die entscheidende Spur zum Verständnis des „Eternauta“: Die im Comicepos ausgebreiteten Ereignissen lassen sich als allegorische Vorwegnahme dessen begreifen, was unter der Schreckensherrschaft des argentinischen Militärs seit Ende der 70er Jahre im Land und mit den Menschen passierte. Insofern ist es sehr wertvoll, dass der Verlag die Texte von Estela Schindel (die diese allegorische Dimension ausdeutet), Johann Ulrich (der den „Eternauta“ in die argentinischen Comic-kultur einordnet) und Anna Kemper in den Band aufnahm.
Kempers Text war in der „Zeit“ erschienen und spürte dem Autor des „Eternauta“ nach, dem von deutschen Auswanderern abstammenden Hector German Oesterheld. Oesterheld, 1919 geboren, politisierte sich in den 70er Jahren zunehmend und gehört seit 1978 zu den „Verschwundenen“, über deren Todesumstände niemand bescheidweiß. Das Ausmaß der Tragödie macht Kemper bewusst, indem sie auch Oesterhelds Familie in den Blick nimmt: alle 4 Töchter wurden von den Militärs verschleppt, gefoltert und getötet. Nur Oesterhelds Frau Elsa überlebte, ehe sie 2015 im Alter von 90 Jahren verstarb.
Studiert man dessen eingedenk den „Eternauta“, so begreift man die enorme Wirkung, die diese Comicfigur auf das argentinische Bewusstsein bis heute ausübt. Man liest das Buch mit enormer Beklommenheit. Und seine düstere, wahrhaftige Botschaft lässt einen nicht mehr los. Dies alles vermag die Kunst, selbst wenn sie auf den vermeintlich populärkulturellen Sohlen des Comic angeschlichen kommt. Insofern kann man die vorbildliche Edition des „Avant-Verlages“ nur begrüßen und den Herausgebern für ihre Mühe danken.

11.08.2016
Christian Welzbacher
Eternauta. Oesterheld, HĂ©ctor G. Zeichnungen von Solano LĂłpez, Francisco ; Hrsg.: Ulrich, Johann; Spanisch Wente, Claudia. 392 S. Gb. Avant Verlag. Berlin 2016. EUR 39,95.
ISBN 978-3-945034-35-4
 
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