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Die Stadlers

Selbst wem der Bildhauer Toni Stadler (1888–1982) noch ein Begriff sein sollte, wird sich verwundert die Augen reiben angesichts der Behauptung, dass es auch noch einen Anton von Stadler (1850–1917) gegeben haben soll. Es handelt sich um Vater und Sohn. Aus Österreich zugewandert, wurde „Anton von“ ein typischer Vertreter der späten Münchner Schule des 19. Jahrhunderts, ein Landschaftsmaler durch und durch und ein gut situierter Münchner Großbürger mit standesgemäßer Villa und dem Münchner Statussymbol des Adelsprädikats.
Eine Ausstellung im Passauer Museum Moderner Kunst, das unter seiner Direktorin Josephine Gabler immer wieder Themen aufgriff, die nicht marktkonform waren, bot einigen Freunden der gegenständlichen Bildhauerei die Gelegenheit, eine umfassende Monographie zu Toni Stadler herauszugeben, die auch den Vater erstmals würdigt. Es handelt sich um keinen Ausstellungskatalog im üblichen Sinne, sondern um eine Sammlung von Aufsätzen, mit denen zum einen Anton Stadler und zum anderen die unterschiedlichen Facetten der Kunst seines Sohnes vorgestellt werden.
Anton von Stadler war vielleicht kein innovativer Landschaftsmaler am Ende eines Jahrhunderts, in dem diese Gattung zum Leitmedium der Malerei geworden war. Aber er erweist sich als ein außergewöhnlicher Kolorist, der wahre Symphonien der Grüntöne geschaffen hat. Seine bedeutendsten Gemälde befinden sich heute bezeichnenderweise nicht nur in der Münchner Neuen Pinakothek, sondern auch in der Bremer Kunsthalle, wo er schon zu Lebzeiten als wesensverwandter oder Wegbereiter der Worpsweder Künstlerkolonie erkannt wurde. Ansonsten befinden sich aber die meisten seiner erhaltenen Werke heute in Privatbesitz, so dass es kaum möglich ist, die Qualität seiner Farben, aber auch oft eigenwilligen Kompositionen einmal im Original erleben zu können.
Toni Stadlers Skulpturen haben hingegen durchaus Präsenz auf den öffentlichen Plätzen von Frankfurt, Hannover oder München. Aber wer nimmt heute schon noch gegenständliche Brunnenfiguren bewusst wahr? In einer Reihe von Aufsätzen wird sein schmales bildhauerisches Werk, das von Suche, Selbstzweifel und zerstörerischer Selbstkritik geprägt ist, vorgestellt. Der Leser bekommt dabei auch einen Überblick über die Entwicklung der gegenständlichen Skulptur in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Gegenständlichkeit hat in der Skulptur des letzten Jahrhunderts eine viel langlebigere Tradition als in anderen Gattungen. Dies gilt durchaus auch für andere europäische Länder wie Frankreich und England. Dass sich Stadler dennoch mit seinen Zeitgenossen von Maillol über Picasso bis Henry Moore auseinandergesetzt hat, gibt seinen Figuren vielleicht erst ihre ganz besondere Qualität. In einem Jahrhundert, das von Innovationen und Traditionsbrüchen geprägt wurde, mag dies konservativ wirken, aber die Aufsätze vermitteln eindringlich, dass es sich um eine andere Form von Zeitgenossenschaft handelt.

23.03.2018
Andreas Strobl
Toni Stadler. »Ich finde nicht – ich suche« Leben, Werk, Wirkung. Hrsg.: Deseyve, Yvette; Ohnesorge, Birk. 184 S. 151 meist fb. Abb. 28 x 21 cm. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2017. EUR 39,00. CHF 48,70
ISBN 978-3-7861-2763-5   [Gebr. Mann Verlag]
 
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