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Walter Gropius – „the formative years“


Wie konnte aus einem zunächst ziel- und planlosen Studienabbrecher, der sich in jungen Jahren in fragwürdigem Antiquitätenhandel versuchte und zeit seines Lebens nicht zeichnen konnte, schließlich der „Silberprinz“ der internationalen Architekturmoderne werden?
Dieser Frage widmen sich im Bauhausjahr gleich zwei Neuerscheinungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: In der bis zum Erscheinen stark beworbenen Biographie „Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms“ (Hanser) versucht Bernd Polster, im Gewand eines Schelmenromans, mit Häme und Missgunst das Rätsel zu lösen. Erfolgreicher und faktenbasierter nähert sich der Geschichte die Ausgabe des Briefwechsels zwischen Gropius und dem Sammler, Mäzen und Werkbund-Protagonisten Karl Ernst Osthaus. Die Edition lässt die „formative years“ des späteren Bauhausgründers anhand der erhaltenen Korrespondenz im Detail nachvollziehbarer werden.
Bernd Polsters Biographie liegt besser in der Hand, auch wenn man sie alsbald zur Seite legt. Die Edition und Transkription des – teilweise durchaus geschäftsmäßigen – Briefwechsels bildet eine trockenere Lektüre und ist schon aufgrund des etwas sperrigen Formats und schwergewichtigen Volumens kein Lesebuch, sondern eher ein Nachschlagewerk. Doch die Edition der Briefe bringt Licht in die frühen Jahre von Gropius – von der Spanienreise 1908, auf der er mit andalusischen Fliesen handelte und erstmals Karl Ernst Osthaus begegnet, der schließlich sein entschiedener Förderer wird – bis in das Todesjahr des Sammlers und Mäzens 1921, in dem Gropius bereits zum Direktor des Staatlichen Bauhauses in Weimar avanciert ist.
Beide Männer sind schöngeistige, verbissene Streiter auf dem Weg in die Moderne und kämpfen gegen den Historismus als vorherrschenden Stil ihrer wilhelminischen Gegenwart. Der gemeinsame Weg führt über die – von Osthaus vermittelte – Lehrzeit von Gropius im Atelier Peter Behrens, Bauprojekte im westfälischen Hagen und den Werkbundstreit 1914 bis zu dem gemeinsamen Engagement im „Arbeitsrat für Kunst“. Während des Ersten Weltkrieges, als der Belgier Henry van de Velde in Weimar als feindlicher Ausländer diskreditiert wird, ergreift der junge Architekt aus gutem Hause, unterstützt durch seinen Duz-Freund Osthaus, die historische Chance, sich als Nachfolger Van de Veldes als Direktor der Weimarer Kunstgewerbeschule ins Spiel zu bringen.
Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt und ebenso Thema ungezählter Ausstellungen im Jahr des Bauhausjubiläums wie des Fernsehmehrteilers „Die neue Zeit“. Im Grunde bringt auch die akribische Edition des Briefwechsels zwischen Gropius und Osthaus nur wenige neue Fakten; doch die Details und die Kontinuität des beharrlichen Strebens um Einfluss, Anerkennung und Mitgestaltung der Gegenwart lassen den Band zum künftigen Referenzwerk aller kommenden Versuche werden, eine angemessene Biographie des „Silberprinzen“ zu schreiben, der, wie sich zeigt, weit mehr als ein „Hochstapler“ (Bernd Polster) war.

22.10.2019
Rainer Stamm
Karl Ernst Osthaus und Walter Gropius. Der Briefwechsel 1908-1920. Hrsg.: Happel, Reinhold; Schulte, Birgit. 440 S. Gb. Klartext Verlag, essen 2019. EUR 29,95.
ISBN 978-3-8375-2055-2
 
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