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Die Pflanzenwelt der gotischen Kathedralen

Mit diesem Buch erhält der Leser ein fulminant bebildertes Werk über die Pflanzendarstellungen gotischer Kathedralen.
Wo es in diesen ehrwürdigen Gebäuden wächst, blüht und manchmal geradezu wuchert, ist äußerst bemerkenswert, obwohl wir als Betrachter die Pflanzewelt sicher wahrnehmen, aber selten ausreichend würdigen.
Die enorme Vielfalt des Pflanzenschmucks und dessen Bedeutung führt uns der Autor in wunderbarer Weise vor Augen und in diesem Band gelingt es Frank Richter, einen umfassenden Überblick über die vegetabile Bauplastik der Gotik in Mitteleuropa zusammenzustellen. Dabei bleibt er nicht an der Oberfläche, sondern bietet dem Leser Einblicke in die Tiefe der Materie.
Nach einem Vorspann aus Gegenüberstellung sehr schöner Architekturaufnahmen mit Zitaten und einem kurzen Geleitwort beginnt das Werk mit einem Überblick über Form und Herkunft des bauplastischen Schmucks und blättert in den weiteren Kapiteln den gesamten Kosmos von kunstgeschichtlicher Einordnung der Pflanzendarstellungen, Intentionen der „Laubhauer“ bis hin zur teilweise problematischen Bestimmung der natürlichen Pflanzenvorlagen auf.
Sicher, um den Rahmen dieses 352 Seiten umfassenden und fast 3 kg schweren Buches nicht zu sprengen, verzichtet der Autor auf allzu viel Botanik sowie die Wiedergabe und Auswertung historischer Quellen. Dieses lässt sich jedoch mit den Arbeiten von Lottlisa Behling (Die Pflanzenwelt der mittelalterlichen Kathedralen. Köln, Graz 1964) oder Hermann Josef Roth (Die Pflanzen in der Bauplastik des Altenberger Domes. Bergisch Gladbach 1976. Die bauplastischen Pflanzendarstellungen des Mittelalters im Kölner Dom. Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris 1990) ergänzen.
Die Pflanzenwelt der mittelalterlichen Kathedralen von Lottlisa Behling kann als Standardwerk auf diesem Gebiet angesehen werden.
Mit der Wahl des sehr ähnlichen Titels für sein Buch wagt sich Frank Richter recht weit vor, wird aber diesem hohen Anspruch durchaus gerecht.
In einem sehr ansprechend gestalteten Schutzumschlag verpackt stellen sich auf einer sehr überzeugenden Papierqualität und in hervorragender drucktechnischer Umsetzung die kenntnisreichen Texte sowie über 1200 Abbildungen in grafisch zeitgemäßer Aufbereitung dar.

Herausragend ist die Qualität der Abbildungen, meist Fotos des Verfassers, in diesem opulent bebilderten Band.
Die Zusammenstellung der Fotos, die an vielen Stellen den direkten Vergleich zwischen natürlicher Vorlage und bauplastischer Umsetzung erlauben, ist auffallend gelungen.

Hervorheben möchte ich die angenehm ausgewogene Farbigkeit der Fotografien, obwohl hier die verschiedensten Gegenstände, z. T. sicher unter schwierigen Lichtverhältnissen, aufgenommen wurden.
Die in einer Reihe von Abbildungen von Frank Richter vorgenommene farbige Separierung von Blattformen oder Darstellungsdetails steigert die Ablesbarkeit der Bildaussage enorm. Analog hebt der schwarze Hintergrund bei den allesamt exzellent ausgeleuchteten Fotos der natürlichen Pflanzen die Erkennbarkeit der spezifischen Formen. Sehr schön sind auch die Pflanzenaufnahmen mit natürlichem Hintergrund, da diese in ganz besonderem Maße die Vielfalt der Formen der natürlichen Pflanzen widerspiegeln und eben dem Eindruck der oft sehr üppigen Darstellungen entsprechen. Mir fällt es, wie wohl dem Autor auch, schwer, einer der beiden Varianten den Vorzug zu geben.

In gut verständlichen Formulierungen stellt der Autor komplexe Zusammenhänge dar, ohne auf die notwendige Präzision zu verzichten. Dadurch erreicht er, dass sich Leser verschiedenster Interessenlagen und Vorbildung der Materie nähern können. Der Zugang ist aus botanischer Sicht, architektur- und kunstgeschichtlich, philosophisch/theologisch, ikonologisch usw. möglich und Frank Richter bringt diese verschiedenen Ansätze eindrucksvoll zusammen. Dabei arbeitet er in außerordentlicher Weise die Herkunft und Verbreitung bestimmter Muster als Vorlagen für die Pflanzendarstellungen heraus entwickelt so Abstammungslinien für die unterschiedlichen Gestaltungsschulen.
So wird die sehr gut nachvollziehbare Behauptung, dass die „Laubhauer“ sicher in Kenntnis der meisten Pflanzen, aber meist eben doch nicht nach der Natur, sondern nach Mustern, arbeiteten, in den Raum gestellt. Damit erklären sich nicht nur die vom Autor nachgezeichneten Gestaltungslinien, sondern auch die Verbreitung botanischer Inkorrektheiten, die nicht allein der künstlerischen Freiheit zu unterliegen scheinen.
Selbst die geballte Ansammlung apotropäischer Pflanzen konnte den Druckfehlerteufel nicht abwehren. So findet sich z. B. auf Seite 63 „Ikonogie“ statt Ikonologie und die Bildunterschrift zur Abbildung 490 „Zaunrübe, Beifuß_Hahnenfuß-Eiche, Zaunrübe“ mit Kommata, Unter- und Bindestrich gibt Rätsel auf.
Außerdem wird der Textfluss gelegentlich durch die Übermacht der Bilder etwas beeinträchtigt.

Die Kapitel werden von ganzseitigen Fotos mit Nennung des Titels und der Abschnitte in weißer Schrift eingeleitet. Dieser besonders schöne Aspekt der Aufmachung dieses Buches wird nur leider nicht für den Exkurs aufgegriffen und für das Kapitel „Die Ausbreitung der steinernen Pflanzen“ nicht durchgehalten. Hier hätte ein Foto ohne große einfarbige Fläche und Verschiebung der vier kleinen Abbildungen, welche die Leerfläche füllen, auf eine normale Textseite, den Gesamteindruck noch geschlossener und übersichtlicher erscheinen lassen. Auch die farbige Hinterlegung der Schrift auf Anfangsseite des Kapitels „Maßstabbildend: Die Straßburger Münsterbauhütte“ erscheint mir unnötig und verlässt die schön angelegte Kapitelgliederung.
Sehr schön hingegen ist die Einfügung der Kapitelüberschriften (gerade Seiten) bzw. Abschnittsbezeichnungen (ungerade Seiten) in grauer Schrift neben den grau hinterlegten Seitenzahlen. Hiermit wird die Orientierung im Buch sehr erleichtert, nur leider wird auch dieses Prinzip nicht konsequent verfolgt. Auf einigen Seiten entfallen aufgrund der Bildanordnung diese Angaben, wobei eine geringfügige Reduzierung der Größe der Fotos die Beibehaltung der schönen Orientierungshilfe ermöglichen würde, ohne der Bildaussage oder Erkennbarkeit nennenswerten Abbruch zu tun.
Ausgesprochen gut gefällt mir die bebilderte Pflanzenübersicht im Anhang, da hiermit auch weniger botanisch bewanderten Lesern die namentliche Zuordnung der Pflanzen zu den Blattformen, Blüten oder Früchten leicht nachvollziehbar wird.
Ebenso hilfreich ist die tabellarische Zusammenstellung der Bedeutung der Pflanzen, insbesondere auch deshalb, weil oft eine mehrfache Zuordnung zutrifft.

Trotz der kleinen Abstriche hinsichtlich der nicht ganz konsequent durchgehaltenen Seitengestaltung legt Frank Richter ein rundum empfehlenswertes Buch vor, welches dem Leser mit einer opulenten Auswahl qualitativ hochwertiger Abbildungen einen umfassenden Einblick in dies zu Unrecht nur am Rande der Kunstgeschichte behandelte Themenfeld bietet. Auch der architekturgeschichtlich oder botanisch nicht bewanderte Leser erhält in diesem Band einen erschöpfenden Einblick in die Pflanzenwelt gotischer Kathedralen, ohne dass es für Kenner der Materie langweilig wird.
Fundiert beschreibt Frank Richter Herkunft, Entwicklung, Gestaltung und Bedeutung dieser speziellen Ausprägung des bauplastischen Schmucks und legt mit feiner Analyse auch neue Aspekte, z. B. hinsichtlich der Bestimmbarkeit der Pflanzen, dar.
Dieses Buch lädt uns ein, das Werk der mittelalterlichen „Laubhauer“ nicht nur beiläufig zur Kenntnis zu nehmen, sondern dieser besonderen Ausprägung künstlerischen Schaffens angemessene Aufmerksamkeit zu schenken.

17.12.2019

Friedemann Wolf befasst sich seit 1992 mit der mittelalterlichen Pflanzenwelt, zuletzt in Convent: Beitr. z. Gesch. d. Klosterwesens in Mecklenburg und Vor-pommern., Bd. 4, 2011: „Die Pflanzendarstellungen des Doberaner Münsters“.

Friedemann Wolf
Die Pflanzenwelt der gotischen Kathedralen. Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte (168). Richter, Frank. 352 S. 1231 fb. Abb. 30 x 24 cm. Imhof Verlag, Petersberg 2019. EUR 99,00. CHF 114,00
ISBN 978-3-7319-0853-1   [Michael Imhof]
 
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