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Period Rooms

Der Triumph der Period Rooms

Zur Tragik des Kunstmuseums als Institution gehört, dass ihm die Aufgabe eingeschrieben ist, die Objekte seiner Begierde aus ihrem historischen Kontext zu entreißen: Ob Altartafel, Gewandfibel oder mittelalterliches Aquamanile, in den Museen stehen die Dinge zumeist unverbunden nebeneinander. Um bewundert zu werden, werden sie aus ihren Funktionen, Kontexten und ursprünglichen Umgebungen gerissen. Ihre Dekontextualisierung ist die Kehrseite der Musealisierung.
Im Historismus entstanden daher bereits Ideen, die Objekte wieder zum Sprechen zu bringen. Das Märkische Museum Berlin oder Wilhelm von Bode auf der Museumsinsel arrangierten historische Artefakte zu Stil- oder Epochenräumen, in denen Gemälde, Skulpturen oder kunstgewerbliche Preziosen in eine Präsentation eingebunden waren, die zumindest den Geist einer Epoche vermitteln sollte.
Die Königsdisziplin dieser Heraufbeschwörung vergangener Zeiten und Stile bildete indes nicht der von Kunsthistorikern imaginierte Epochenraum, sondern – im besten Falle – der Period Room. Auch wenn die Begriffe selbst in der museologischen Literatur vielfach synonym gebraucht werden, meint dieser nicht einen arrangierten Kunstraum, sondern den in die Schausammlung implementierten Originalraum, aus aufgelassenen Klöstern, Schlössern oder Gutshöfen demontiert und in den kunsthistorischen Rundgang eines Museums eingebaut.
In den Jahrzehnten zwischen 1880 und den 1920er Jahren hatte – durch die zahlreichen Museumsgründungen nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten – ein regelrechter Wettlauf um bedeutende historische Raumensembles eingesetzt.
Während Period Rooms in deutschen Museen heute äußerst selten geworden sind, erfreuen sich diese originalen Raumensembles vor allem in amerikanischen Museen, aber auch im Israel Museum (Jerusalem), im Victoria and Albert Museum (London) oder in Frankreich nach wie vor großer Beliebtheit. In Deutschland zählen die Period Rooms des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe – vom „Wilstermarscher Zimmer“ (1744) über das „Pariser Zimmer“ (1900) bis zu Verner Pantons legendärer „Spiegel Kantine“ (1969) – zu den herausragenden Exponaten.
Lange waren Period Rooms als nostalgische Stimmungsräume in der modernen Museologie verpöhnt, bis man sich in den vergangenen Jahrzehnten wieder der besonderen Qualität dieser einzigartigen Ensembles bewusst wurde. Entsprechend rar ist aktuelle Literatur oder gar ein Überblickswerk zu dem faszinierenden Thema. Der Band über die Period Rooms des Schweizer Landesmuseums ist daher besonders willkommen.
Auch wenn dieser sich auf die Beispiele aus dem 1898 eröffneten Landesmuseum Zürich konzentriert, deren Geschichte er akribisch dokumentiert, bietet vor allem der einführende Essay von Benno Schubiger den Versuch einer aktuellen Kulturgeschichte der Period Rooms.
Vor allem über die europäische Geschichte des Phänomens gibt der Museologe einen konzisen und erhellenden Überblick. Obwohl er darin auch auf den florierenden Export historischer Interieurs aus Europa in den Jahrzehnten um 1900 verweist, bleibt bedauerlich, dass seine Darstellung im Wesentlichen auf Beispiele in europäischen Museen beschränkt bleibt. Doch mangels umfassenderer Überblickswerke und nicht zuletzt aufgrund der detailreich dargestellten und exzellent fotografierten Beispiele aus der großartigen Zürcher Sammlung bewährt sich der Band als prächtiges Handbuch zu dem gleichermaßen abgelegenen wie faszinierenden Thema.

03.02.2020
Rainer Stamm
Period Rooms. Die Historischen Zimmer im Landesmuseum Zürich. Hrsg.: Sonderegger, Christina; Schweizerisches Nationalmuseum; Beitr.: Abegg, Regine; Amrein, Heidi; de Capitani, François; Dosch, Leza; Illi, Martin; Meile, Felicitas; Petrak, Gaby; Schubiger, Benno; Seiler, Roger; Sonderegger, Christina; Übersetzt von Passelaigue, Martine; Chilese, Viviana. 280 S. 258 fb. Abb. 30 x 23 cm. Kt. Scheidegger & Spiess, Zürich 2019. EUR 48,00. CHF 49,00
ISBN 978-3-85881-640-5   [Scheidegger & Spiess]
 
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