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Die Kunst der Demokratie

Höchst eindrucksvoll beschreibt Carsten Brosda die Bedeutung der Kultur in einer offenen Gesellschaft wie der unseren. Unter dem Titel „Die Kunst der Demokratie“ behandelt Brosda die ganze Bandbreite kulturellen Lebens, mit dem Ziel, die Kraft, die aus ihr hervorgeht und unser gesellschaftliches immer bestimmt hat, zu schützen und zu fördern.
Brosda ist überzeugt und es mache seiner Meinung nach Sinn, dass Kunst politischen Zusammenhalt und Zusammenhang in unserer Gesellschaft produziert und nicht selten auch provoziert, sodass demokratische Politik mit dieser Kunst und Kultur kreativ umgehen muss. Diese gesellschaftliche Herausforderung ermöglicht neue Strategien und Positionen, so das überzeugende Fazit Brosdas.
Keinesfalls darf sich dies aber in volkspädagogischer Aufklärung ausdrücken, sondern muss eine konstruktive inhaltliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven in der Gesellschaft möglich machen.
Aus Furcht, die Kunstfreiheit könnte gefährdet sein, sollte man in jedem Fall darauf verzichten, Kunst nur der Nützlichkeit zu widmen. Kunst und Kultur sind nicht die Goldränder am Teller. Wenn wir von Kunst und Kultur reden, dann geht es um die Substanz des Gemeinwesens, mahnt Carsten Brosda.
In Brosdas Kapitel zur „Gesellschaft im Wandel“ behandelt der Autor darüber hinaus „Die Rationalität der Bilder“. Ihm geht es dabei um politische und soziale Umbrüche wie Klassenverhältnisse und Kulturkämpfe sowohl im analogen als auch digitalen Bereich, sowie kulturelle Umbrüche bezüglich einer Vielfalt und Integration.
Brosda kommt zu dem Schluss, dass Kulturpolitik und Interkulturalität die drohende individuelle Vereinzelung erschweren.
Außerdem plädiert er dafür, wie schon viele vor ihm, dass „Kunst für Alle“ da sei und die aktuelle Unsicherheit über Wahrheit und Wissen vermeiden helfe. Die aufklärerische Kraft von intelligenter und kreativer Kulturpolitik bewirke einen kraftvollen Ansporn, mehr Wissen zu erlangen. Kultureinrichtungen allgemein und Museen im Besonderen müssten sich immer wieder neu und aktiv gestalten, sie seien herausgefordert, das eigene Selbstverständnis zu überdenken und zu erweitern. So könnten neue Möglichkeiten deren gesellschaftliche Relevanz mehren und „Kultur für Alle“ möglich machen.
Ebenso eindrucksvoll gestaltet sich das Kapitel „Kultur der Heimat“. Hier geht es im Wesentlichen um die Denkmalpflege und ihre immense Bedeutung für das Gefühl, sich an seinem Wohnort daheim zu fühlen. Der Mensch brauche ein emotionales Widerlager zu den Entgrenzungs- und Entfremdungsprozessen, die man nicht nur den Traditionalisten überlassen dürfe. Denkmalschutz sei eine zentrale kulturpolitische Aufgabe, da sie die Eingewobenheit in kulturelle Bezüge anhand von baulichen und greifbaren Strukturen erlebbar und die Substanz der Heimat deutlich macht.
Gleichzeitig verbindet Brosda den Denkmalschutz mit den Fragen der Erinnerungskultur und betont im folgenden Kapitel „Bewusstsein durch Erinnerung“ die Notwendigkeit eines intensiven erinnerungspolitischen Umgangs mit den Verbrechen unserer Vorfahren. Geschichte kann nicht getilgt werden, aber wir können in gemeinsamer Trauer und gemeinsamem Erinnerns zur Versöhnung beitragen. Hier geht es nicht um persönliche Schuldgefühle, sondern um ein gesellschaftliches Wahrheitsempfinden, das eine Wiederholung ähnlicher Grausamkeiten und herrschaftlicher Zwänge in der Zukunft weniger möglich macht. Die nationalsozialistischen Grausamkeiten als „Vogelschiss der Geschichte“ zu bezeichnen, bedeutet neue Grausamkeiten wieder möglicher zu machen.
Nach einem Abriss über den digitalen Kulturbruch und die Ökonomie kultureller Kreativität fordert Brosda in seinem Schlusskapitel dann auch folgerichtig eine gemeinsame Verantwortung. Dabei sind Kunst und Kultur vor allem als Quelle der Inspiration und Irritation von Bedeutung und erst in zweiter Linie Instrumente der Repräsentation. Kunst und Kultur setzen Impulse für das Nachdenken über den Zustand unserer Gesellschaft und für ein jedes konkrete Handeln.

Zur Umschlagabbildung ist zu ergänzen, Gold sei die Farbe der Demokratie und der Vielen. Golden schimmert darum auch die Fassade eines Wohnhauses auf der Hamburger Veddel, ein Stadtteil der nicht gerade die feine Gesellschaft beherbergt. Hier hat der Künstler Boran Burchardt im Sommer 2017 die Fassade mit Blattgold belegt und damit eine sehr kontroverse Debatte ausgelöst. Ein derartig vergoldeter Ziegel abgebildet auf dem Umschlag, galt als „Stein des Anstoßes“, war Teil einer Hamburger Ausstellung. Ihn hat Brosda ausgewählt, um den Blick auf die Kunst der Demokratie zu richten. Das ist ihm gelungen.
Dr. Carsten Brosda (*1974) ist gelernter Journalist und Politiker, Hamburger Senator für Kultur und Medien und Vorsitzender des Kulturforums der SPD. Adam Soboczynski von der ZEIT meint: „Es wäre ein Segen, mehr Politiker von der intellektuellen Brillanz Brosdas auf der Bühne zu haben“. Dem kann man nur beipflichten. Ein kluges Buch!

03.04.2020
Gabriele Klempert
Die Kunst der Demokratie. Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft. Brosda, Carsten. 256 S. Hoffmann & Campe, Hamburg 2020. EUR 24,00. CHF 32,50
ISBN 978-3-455-00840-1
 
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