KunstbuchAnzeiger - Kunst, Architektur, Fotografie, Design Anzeige Verlag Langewiesche Königstein | Blaue Bücher
[Home] [Kunst] [Rezensionen] [Druckansicht]
Themen
Recherche
Service

[zurück]

Edith von Bonin

Eine Vergessene: Edith von Bonin

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort und mit den richtigen Leuten vernetzt und trotzdem in Vergessenheit geraten? Die Künstlerin Edith von Bonin ist ein Beispiel dafür, dass dies sehr wohl passieren kann. Von ihr noch nie gehört zu haben, ist also nicht weiter verwunderlich, sie war nur noch in den Fußnoten ihrer berühmteren Zeitgenossen zu fassen. Ein nun erschienenes Buch ihrer entfernten Verwandtschaft Susanne und Ulrich Freund gibt uns ihre Biographie und ihr Werk zurück. Geboren wurde Edith von Bonin 1875 in Elberfeld (heute: Wuppertal), wo ihr Vater, ein hoher Verwaltungsjurist, zeitweise tätig war. Doch ihren Lebensmittelpunkt hatte die aus Hinterpommern stammende Familie in Sachsen-Anhalt. Die geborene höhere Tochter Edith wählte jedoch nicht den üblichen Weg, Ehefrau und Mutter in gut situiertem Hause zu werden. Der anscheinend liberale Vater gestattete seinen Töchtern künstlerische Laufbahnen. Zwei Schwestern wurden Schriftstellerinnen, Edith selbst ging 1901 an die private Münchner Damenakademie, da das offizielle Kunststudium im wilhelminischen Deutschland den Frauen verwehrt war. Hier traf sie einen Kreis gleichgesinnter Frauen, von denen viele lebenslange Freundinnen wurden. Ein für diese Zeit nicht ungewöhnlicher und dennoch von Entschlossenheit zeugender Schritt war es dann, 1907 nach Paris zu ziehen, wo Edith von Bonin schnell in dem Künstlerkreis um Hans Purrmann und dessen ebenfalls künstlerisch tätiger Frau Mathilde Vollmoeller Fuß fasste. Der Kreis ist heute als deutsche Brücke zu Henri Matisse und den wenig später als „Fauves“ berühmt gewordenen jungen Franzosen bekannt. Sie lernte Rilke und seine Frau Clara Westhoff kennen und sie war es die Rilke auf die preiswerten, leerstehenden Räume im Pariser Hôtel Biron aufmerksam machte, in die dann auch gleich Auguste Rodin mit einzog. Heute befindet sich dort das Musée Rodin. Der Erste Weltkrieg zerstörte diese internationale Allianz und brachte Edith von Bonin, wie so manch anderen deutschen Künstler und Sammler, um ihre nur noch in Ansätzen rekonstruierbare Sammlung zeitgenössischer französischer Kunst, die heute wohl in Deutschland eine kleine Sensation wäre.
Edith von Bonin wurde in Paris keine Expressionistin und keine Kubistin. Sie fühlte sich einem an Hans von Marées orientierten Klassizismus verpflichtet und verinnerlichte eine Farbsensibilität und -behandlung, die in Paul Cézanne ein bleibendes Vorbild fand. Allenfalls Anklänge der radikaleren Farbigkeit und leicht abstrahierenden Formauffassung der Fauves nahm sie auf. Da die Künstlerin – auch auf Grund ihres bescheidenen Lebenswandels – zeitlebens nicht gezwungen war, mit ihrer Kunst Geld zu verdienen, kam kaum ein Werk in den Handel und keines in ein Museum. Durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs und den Verlust der Familienbasis in Sachsen-Anhalt nach 1945 wurde ihr Werk zudem stark dezimiert und die Autoren können nur noch eine überschaubare Anzahl an Gemälden und Arbeiten auf Papier dokumentieren. Da die Künstlerin ihre Werke selten datierte, ist die Chronologie zudem unsicher. Denn Edith von Bonins Werk ist, wie bei so vielen Künstlern einer „konservativen Moderne“, von keinen Entwicklungen oder radikalen Brüchen geprägt. Das Buch dokumentiert also eine stille Künstlerin, die in den 1930er Jahren Anschluss an ihre Jugendfreundinnen in der Dachauer Künstlerkolonie fand und ansonsten einen Großteil ihrer Zeit in Norditalien verbrachte, ehe sie hochbetagt 1970 in Rottweil verstarb. In den letzten Jahrzehnten wurde die erste Generation von Künstlerinnen wiederentdeckt, denen mit viel Mut und Engagement der Weg in diese Profession offenstand und die es dennoch zeitlebens sehr viel schwerer hatten als ihre männlichen Kollegen. Das stille und zugleich nicht gewöhnliche Leben einer Vertreterin dieser Generation ist nun in diesem mustergültigen Buch voll umfänglich wieder nachzuvollziehen und eigentlich erst zu entdecken.

21.04.2021
Andreas Strobl
Edith von Bonin. Freund, Ulrich; Freund, Susanne. Deutsch.192 S. 40 sw. Abb., 120 fb. Abb. 21,3 x 13,5 cm. Wienand Verlag, Köln 2021. EUR 25,00. CHF 31,60
ISBN 978-3-86832-577-5
 
© 2003 Verlag Langewiesche [Impressum] [Nutzungsbedingungen]