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Verdammt und vernichtet

Bewegliche und unbewegliche Kulturgüter werden seit jeher als identitätsstiftend angesehen. Daher überrascht es nicht, dass die gezielte Zerstörung und der Raub eben dieser Güter bereits in frühester Zeit im Falle von kriegerischen Konflikten und Auseinandersetzungen von Beginn an eine Rolle spielten. Neben den ideologischen, religiösen und ökonomischen Komponenten steht nicht selten auch eine völlige Vernichtung der entsprechenden Kultur auf der Agenda der jeweiligen Aggressoren. Diesem interessanten und bislang nur selten aufgegriffenen Phänomen widmet sich Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in seinem neuen, bei C. H. Beck erschienen Buch. Dabei steht nicht eine allumfassende und vollständige Präsentation des Phänomens im Mittelpunkt. Vielmehr hat er es sich zur Aufgabe gemacht anhand ausgewählter Fallbeispiele unterschiedliche Aspekte der Thematik hervorzuheben und überblicksartig vorzustellen. Dies erfolgt streng chronologisch und beginnt in der Antike mit den Plünderungen durch Herorstrat sowie der Damnatio memoriae des ägyptischen Königs Echnaton und endet in der Gegenwart mit dem Ikonoklasmus des sogenannten IS-Terrorismus.
Es gelingt ihm dabei unterschiedlichen Formen von Ikonoklasmus / Kulturzerstörung nachzuspüren und ein sehr breites Spektrum an Motiven und Faktoren offenzulegen. Neben politischen und religiösen Motivationen, die vor allem im Altertum eine wichtige Rolle spielten (Kapitel 1), unterstreicht er vor allem den häufig vergessenen ökonomischen Faktor, der gleichfalls von Anbeginn ein wichtiger Motivator gewesen sein dürfte. Mit dem Raub und der Zerstörung von Kulturgütern ist zumeist jedoch nicht „nur“ der Verlust von unschätzbaren Kunstwerken zu beklagen. Häufig gehen sie Hand in Hand mit der Vernichtung menschlichen Lebens. So stellt H. Parzinger völlig zu Recht Ikonoklasmen, wie sie beispielsweise im Zuge der Conquista in Mesoamerika stattfanden, als Völkermord und kulturellem Genozid (S. 149) heraus. Einen weiteren traurigen Höhepunkt in der Geschichte der Kulturvernichtung stellt schließlich die NS-Diktatur dar, die H. Parzinger als rassistischen Ikonoklasmus von genozidalem Ausmaß (S. 286) charakterisiert.
Schlaglichtartig werden so unterschiedliche Stationen aus der Geschichte der Menschheit präsentiert, die schließlich im vorletzten Kapitel den relativ modern anmutenden islamistischen Ikonoklasmus in den Blick nehmen. Dabei ist von besonderem Interesse, dass H. Parzinger nicht nur auf die religiös-ideologische Vernichtung antiker Kunstwerke durch den IS hinweist, sondern eben auch auf die enge Verzahnung mit dem international agierenden Kunsthandel (S. 279). Gerade Letzteres macht diese Handlungen um so perfider und zeigt wie wichtig es ist, ein entsprechendes Bewusstsein in der westlichen Welt zu schaffen und kritische Diskurse anzuregen. Der Ankauf solcher Kulturgüter stellt eben nicht, wie gerne dargestellt, das Sichern der Kunst der Menschheit dar, sondern trägt nachhaltig zum Verlust kulturellen Erbes bei. Es muss daher auch ein entsprechendes Bewusstsein zum verstärkten Schutz dieser Kulturgüter geschaffen werden. Zwar existieren durchaus viele Gesetze und internationale Übereinkommen, wie etwa die Haager-Konvention (1954), doch krankt es entweder an der Umsetzung oder viele dieser Konventionen greifen überhaupt nicht, da Kulturvernichtung auch innerstaatlich stattfindet, oder etwa von terroristischen Gruppen ausgeführt wird. Letztlich zieht H. Parzinger daher ein sehr pessimistisches Fazit und muss feststellen, dass bislang ein „robuster Schutz für das kulturelle Erbe“ noch immer fehlt (S. 303).
Es ist daher eine der Stärken des Buches, auf eben diese Probleme und Aspekte hinzuweisen und somit eine wichtige gesellschaftliche Debatte anzustoßen. Dabei ist der internationale und über die zeitlichen Grenzen gesetzte Betrachtungsrahmen, den der Autor wählt, von Vorteil und bietet somit einen guten Einstieg in das Phänomen und die Geschichte des Ikonoklasmus.

01.06.2021
Robert Kuhn
Verdammt und vernichtet. Kulturzerstörungen vom Alten Orient bis zur Gegenwart. Parzinger, Hermann. 368 S. 47 Abb. 21,7 x 13,9 cm. Gb. C. H. Beck Verlag, München 2021. EUR 29,95.
ISBN 978-3-406-76484-4   [C. H. Beck]
 
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