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„Kompromisslos modern“ – Jacoba van Heemskerck

In den 1980er und 1990er Jahren waren Bücher wie „Käthe, Paula und der ganze Rest. Ein Nachschlagewerk“ oder „Die Spuren des Schiffs in den Wellen“ notwendig, um den vergessenen Anteil der Frauen an der Kunstgeschichte mühsam in Erinnerung zu rufen. Seither erweitert sich der Horizont von Jahr zu Jahr um neue Entdeckungen: Lotte Laserstein hat es – endlich – in den Olymp der Künstlerinnen und Künstler geschafft: die Nationalgalerie in Berlin. Julia Voss hat unlängst an die vergessene Malerin Hilma af Klint erinnert, die schon vor Kandinsky mit der Ungegenständlichkeit experimentierte.
Insofern passt es in die Zeit, mit Jacoba van Heemskerck auch eine Künstlerin aus dem Kreis um Herwarth Walden und seine Berliner Avantgardegalerie ‚Der Sturm’ wiederzuentdecken. Auch sie hatte sich früh schon der Abstraktion verschrieben und mit ihren farbstarken Werken seit 1913 in Berlin Aufsehen erregt. Obwohl heute weitgehend vergessen und in kaum einem deutschen Museum dauerhaft präsent, gehörte sie in den 1910er und 1920er Jahren 190er Jahren zu den Pionierinnen der modernen Kunst.
Eine neue Monografie lässt ihr Werk nun wieder greifbar werden und verortet es in ihrer Zeit. Vor allem macht sie die Bezüge zu zwei bedeutenden Bewegungen sichtbar, die für die Entwicklung und Durchsetzung der ungegenständlichen Kunst in Westeuropa wesentlich waren: Dies war in den Niederlanden, wo Jacoba van Heemskerck 1876 geboren wurde, die starke Verbindung der modernen Kunst zur Theosophie, die nicht nur sie, sondern auch Künstler wie Piet Mondrian, Theo van Doesburg, J.L.M. Lauweriks oder Wassily Kandinsky entscheidend geprägt hat. Die Suche nach spirituellen Inhalten in jener ‚Zeit des Großen Geistigen’ war – wie Sixten Ringbom schon 1966 nachgewiesen hat – für diese Künstler entscheidend für ihren Weg in die Abstraktion.
Das andere Referenzfeld war für Jacoba van Heemskerck Herwarth Walden und seine Galerie. Die Künstlerin und ihr Galerist waren seit 1913 eng befreundet und Walden nutzte die von ihm herausgegebene Avantgarde-Zeitschrift „Der Sturm“, um das Werk der Künstlerin in Deutschland zu propagieren; diese wiederum schuf zwischen 1917 und 1923 etliche Holzschnitte, die – direkt vom Stock gedruckt – als originalgrafische Titelseiten von Waldens Zeitschrift dienten. Die Neuerscheinung im Hirmer Verlag verleiht nicht nur dem Werk Heemskercks die erneute und wohlverdiente Sichtbarkeit, sondern bettet ihr Leben und Werk in das zeit- und avantgardehistorische Spannungsfeld zwischen Theosophie und Anthroposophie auf der einen und der „Verbundenheit mit dem Sturm“ auf der anderen Seite ein. Nachdem die einzige bislang erschienene deutschsprachige Monografie zum Werk der Künstlerin (aus dem Jahr 1983) schon seit langem nicht mehr lieferbar ist, kommt die Neuerscheinung gerade recht, um den Anteil Jacoba van Heemskercks an der Geschichte der westeuropäischen Avantgarde erneut sichtbar zu machen.

03.09.2021
Rainer Stamm
Jacoba van Heemskerck. Kompromisslos modern. Hrsg.: Bielefeld, Kunsthalle; Haag, Kunstmuseum Den; Stade, Museen.160 S. 185 fb. Abb. 26 x 22 cm. Hirmer Verlag, München 2021. EUR 29,90. CHF 36,80
ISBN 978-3-7774-3698-2
 
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