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Barlach revisited – Eine kritische Bestandsaufnahme.

Eigenartig genug: Gleich vier Barlach-„Wallfahrtsstätten“ gibt es, und alle finden sich in der norddeutschen Küstenregion: in Wedel/Holstein, Hamburg, Ratzeburg (alle drei in der BRD) und in Güstrow (ex-DDR). Und diese vier Museen konkurrieren und kooperieren, und alle vier bemühen sich seit 1945 das Gedächtnis an Werk und Leben des 1870 in Wedel geborenen und 1938 in Güstrow verstorbenen Künstlers, Schriftstellers, Bildhauers und Graphikers Ernst Barlach wach zu halten.

Dieses Buch nun bietet die Früchte einer Tagung, welche die vier Institutionen, bereichert um einige weitere Forscher, im November 2019 zusammen mit dem Germanistischen Institut der Uni Rostock gehalten haben. Kurz zuvor war die Neu-Edition von über 2.200 Barlach-Briefen erschienen, und kurz danach, 2020/21, fand eine bedeutende Barlach-Ausstellung im Dresdner Albertinum statt. Die 13 Beiträge in diesem Buch stammen von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, denn schließlich war Barlach nicht nur „Bildender Künstler“, sondern auch ein bedeutender Schriftsteller, was vom größeren Teil des Publikums meist übersehen wird.

Missbräuche durch einseitige Vereinnahmungen war das wohl wichtigste Thema, das die Tagung beschäftigte: Vereinnahmung durch die DDR einerseits und daneben solche kirchlicherseits. Darüber schwebte die Frage, was uns Heutigen Barlach noch bedeuten könnte. Eine Neubestimmung seines Werkes sei nötig – und: möglich.

Ausgangspunkt war die Betrachtung seiner Wirkungsgeschichte / Rezeptionsgeschichte schon ab seiner frühen Karriere. Nach seiner „Russlandreise“ 1906 hatte er zunehmend prominente Resonanz gefunden, z. B. in Berlin u. a. durch Paul Cassirer. Schon 1910/11 hatte Barlach sich nach Güstrow zurückgezogen und am allgemeinen intellektuellen Diskurs kaum noch teilgenommen, sich bewusst zum Außenseiter entwickelt. Um so wichtiger müsste daher die Beschäftigung mit der mühevollen Selbstbefragung werden, der er sich als absichtsvoller Einzelgänger mit seinen Werken bis zu seinem Lebensende unterzog.

Aber auch scheinbar randständige Aspekte wurden in den Blick genommen, etwa das eigenartige Verhältnis des alleinerziehenden Barlach zu seinem Sohn Nikolaus. Festgestellt wurde ferner, dass die gegenwärtigen „Flüchtlingskrisen“ Barlach nicht mehr „anschlussfähig an den aktuellen Diskurs“ gemacht haben. Neues erfährt man aber auch zur Baugeschichte seines Güstrower Ateliers und zu seinen diesbezüglichen Verkaufsüberlegungen. Auch werden Überlegungen zu einer neueren Ausstellungspraxis vorgestellt, wobei die Doppelrolle als Schriftsteller und Bildender Künstler fruchtbar werden könnte.

Die 13 Beiträge in dem als wissenschaftliche Literatur gestalteten Band lassen sich gleichwohl gut lesen, und vor allem: sie haben in der Tat den Boden für weitere Fragen bereitet sowie neue Wege gewiesen. Leider sucht der Leser ein Orts- und Namen-Register vergebens, dankbar sind wir für die 87 s/w-Abbildungen, auch wenn sie klein sind.

22.12.2021
Hans-Curt Köster
Barlach revisited. Eine kritische Bestandsaufnahme. Hrsg.: Onasch, Paul; Lemke, Karoline; Helbig, Holger. Bietr.: Christina Dongowski, Sebastian Giesen, Charlotte Plückhahn, Franziska Hell, Karoline Lemke, Paul Onasch, Holger Helbig, Henri Seel, Volker Probst, Jens Brachmann, Magdalena Schulz-Ohm, Karsten Müller u. Astrid Nielsen.
328 S. 87 Abb., 22 x 14 cm. Gb. mit Schutzumschlag. Wallstein Verlag, Göttingen 2021. EUR 29,90.
ISBN 978-3-8353-3930-9
 
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