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Charlotte Berend-Corinth.

Eine Wiederentdeckung

Er wäre ohne sie nicht, was er heute ist. Dass man einen Text über sie aber mit ihrem Mann beginnen muss, wirft ein Schlaglicht auf Kunstgeschichte und gesellschaftliche Entwicklung. Charlotte Berend-Corinth ist als Ehefrau des Malers Lovis Corinth bekannt, der heute durchaus internationales Renommee genießt. Da der 1880 geborenen Charlotte Berend, aus gehobener jüdischer Kaufmannsfamilie stammend, der Zugang zu einer Kunstakademie qua Geschlecht verwehrt war, studierte sie in einer der damals zahlreichen „Damenakademien“ – ein hochtrabender Begriff, hinter dem sich nichts anderes als gemeinsamer Privatunterricht bei einem mehr oder weniger etablierten männlichen Künstler verbarg, der sich noch etwas dazu verdienen musste. In ihrem Fall war es die Schule von Lovis Corinth. Und wie bei Gabriele Münter und Wassily Kandinsky verliebte sich die talentvolle angehende Malerin in ihren Lehrer, der Lehrer in sie. Sie wurde Geliebte, Ehefrau und Mutter zweier Kinder. Der über zwanzig Jahre ältere Corinth verewigte sie nicht nur in zahlreichen Portraits, er ließ der jungen Kollegin auch die Freiheit, sich künstlerisch weiterzuentwickeln.
Nur die Öffentlichkeit bekam davon nichts mehr mit. Erst nach dem frühen Tod ihres Mannes trat die Malerin in seine Fußstapfen bei der Berliner Secession und stellte in den wenigen verbleibenden Jahren der Weimarer Republik bei der Berliner Secession und in anderen Ausstellungen aus. Dann kamen Verfemung, Verfolgung und Flucht zum Sohn in die USA, wo sie bis zu ihrem Tod 1967 blieb. Dort entstand ihr wegweisendes Werkverzeichnis der Gemälde von Lovis Corinth und von dort aus arbeitete sie am Nachruhm ihres Mannes. Aber sie fasste auch selbst wieder Fuß in der – nicht zuletzt deutschen – Kunstöffentlichkeit. Trotzdem kennt das Werk von Charlotte Berend, wie sie bis in die 1950er Jahre selbstbewusst signierte, heute kaum jemand und wenn dann nur in wenigen Beispielen. Eine Ausstellung im Saarlandmuseum in Saarbrücken beendet diesen Zustand und der dazu erschienene Katalog, vom Hirmer Verlag in bewährter Art ansprechen hergestellt, ist eine schöne Monographie geworden.
Entdecken kann man eine Künstlerin, die in der deutschen Malerei der Jahrhundertwende fußt, die wir unbeholfen „deutschen Impressionismus“ nennen, und die in den 1920er Jahren dann zu einem klareren Stil gefunden hat, der aber mit der „Neuen Sachlichkeit“ auch nicht wirklich etwas zu tun hat. Wie ihr Lehrer ist sie eine beeindruckende (Selbst-)Portraitistin geworden, schuf aber daneben auch Landschaften und noch viel mehr Stillleben.
Die instruktiven Kapitel des Katalogs stellen ihren nicht einfachen künstlerischen Werdegang und die Besonderheiten ihres Werks vor. Besonders hervorgehoben werden, sollen zwei Kapitel, obwohl gerade die Vielfalt der Perspektiven das Buch so spannend machen. Das Kapitel von Kristina Kratz-Kessemeier stellt die Künstlerin als geschickte Netzwerkerin in der Berliner Kunstszene der 20er Jahre vor. Das Portrait des preußischen Kultusminister Adolf Grimme zeigt wie menschlich interessiert und doch auch karrierebewusst sie dies anging. Charlotte Berend war nicht einfach die Frau des berühmten Mannes, sie stand als Künstlerin und Mitarbeiterin im Vorstand der Berliner Secession ihren eigenen Mann. Das andere Kapitel beschäftigt sich mit einer Kopie eines Gemäldes von Lovis Corinth, die Charlotte Berend nach dessen Tod geschaffen hat. Lovis zeigt in seiner Version – wieder einmal – seine Frau, diesmal nicht in Szene gesetzt, sondern sich unbeobachtet fühlend bei gemütlicher Lektüre auf dem Sofa. Inka Bertz befragt eindrucksvoll offen den Zwiespalt, in dem sich die Künstlerin nicht nur bei ihrer Wiederholung, sondern zeitlebens gegenüber ihrem künstlerisch so potenten und bewunderten Vorbild befand.
Entstanden ist ein Buch, das vergleichbar den Entdeckungen der letzten Jahre – man denke nur an Lotte Laserstein – eindrucksvoll vor Augen führt, wie eingetrübt unser kulturelles Gedächtnis doch gerade hinsichtlich des Schaffens von Künstlerinnen ist, dass in diese Trübheit aber doch auch Klarheit gebracht werden kann. Und ganz nebenbei: Charlottes ältere Schwester Alice (1875–1938) war eine in ihrer Zeit geachtete Schriftstellerin, ehe es dunkel wurde in Deutschland.

05.08.2022
Andreas Stobl
Charlotte Berend-Corinth. Hrsg.: Jahn, Andrea. Deutsch; Englisch.192 S. 40 fb. Abb. 24 x 17 cm. Hirmer Verlag, München 2022. EUR 29,90. CHF 36,80
ISBN 978-3-7774-3939-6
 
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