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Eduard Beaucamp - Jenseits der Avantgarden


"Über Kunst wird heute viel geschrieben, aber selten mutig und beherzt geurteilt. ... "Qualität" ist heute nur ein Betriebs-, ein Markt- und Erfolgswert." Dieses Zitat von Eduard Beaucamp, der von 1966 bis 2002 als Kunstkritiker und Feuilletonredakteur bei der FAZ arbeitete, darf man wohl getrost als persönliches Lebensmotto bezeichnen. Beaucamp machte sich bekanntlich vor allem einen Namen, indem er seit den frühen siebziger Jahren die drei damals unbekannten Hauptvertreter der ostdeutschen "Leipziger Schule" - Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und Bernhard Heisig - in der westdeutschen Kunstszene einführte und sie kenntnisreich und geschickt vermittelte. Der nun pünktlich zum 85. Geburtstag des Kritikers vorgelegte Band enthält insgesamt 16 wieder abgedruckte Kritiken von den neunziger Jahren bis zu den Zehnerjahren. Das Spektrum reicht dabei von kritischen Studien zur "kapitalistischen Moderne", zum Wandel der Museumslandschaft oder zu sensibel gezeichneten Portraits und Nachrufen auf die großen Vermittler wie Werner Haftmann, Werner Hofmann und Peter Ludwig bis hin zu "Abrechnungen" mit der zunehmenden Orientierung der Kunst an globalen Mechanismen des Kunstmarktes. Ein abschließendes Interview zeigt ein höchst aufschlussreiches, lebendiges Gespräch über seine eigene intellektuelle Biographie.

Beaucamp outete sich mehr oder weniger offen als wertkonservativer Bewahrer einer Kunst, der auf eigenständige Qualität achtete und dabei Position zum realen Weltgeschehen bezog und sich möglichst nicht in die Abhängigkeit des Marktes und seiner Medien begab. Beaucamps Texten gelingt es dabei aus jeweils unterschiedlichsten Perspektiven die Grenzen, blinden Flecke und die Tabus der westeuropäischen und sich langsam globalisierenden Weltkunst deutlich zu machen.
"Es könnte gut sein", mutmaßte er ebenso frech wie originell in "Das Kunstsammeln im Umbruch"(2012) , "dass man später zum Verständnis der Kunst und des Kunstbetriebes unserer Spätmoderne nicht mehr die Hilfe der Kunstwissenschaft braucht. Sie lassen sich vielleicht besser in Unterabteilungen der Wirtschafts- und Sittengeschichte abhandeln." Und fährt in einem leicht resignierenden Unterton fort: "Die Kunst der letzten drei Jahrzehnte folgt kaum noch ihren eigenen Ideen, Gesetzen und Inhalten. Sie verschreibt sich heute Trends, bedient spezielle, begüterte Segmente der Gesellschaft, befriedigt Erwartungsklischee, folgt den Vorgaben des Marktes ...... " Dass es sich Beaucamp sich mit seinen Arbeiten nicht leicht machte, beweisen vor allem seine subtilen Künstlerportraits: etwa seine unterschwellig ätzende Kritik am "Meister der Indifferenz: Gerhard Richter" oder auch seine unverhohlene Bewunderung der frühen Zeichnungen eines Joseph Beuys.

"Kritiker sind Spielverderber" äußerte Beaucamp unmissverständlich und wusste gleich den Grund: Sie genössen die größte Freiheit und könnten sich so einen unabhängigen Blick bewahren. Jüngere Zeitgenossen werden ihm in dieser Hinsicht heute wahrscheinlich sehr deutlich widersprechen. Beaucamps´ deutlich spürbare Lust an Skepsis und am Widerspruch, die Unbeirrtheit des eigenen, selbstkritischen Blicks sind es jedoch, die ihrerseits heutigen, den Instagramm und Tik-Tok affinen SocialMedia-Kunst-Konsumenten, nachhaltig zu denken geben könnte. Kunst operiert mit Ironie, Ambivalenz und Vieldeutigkeit und schließe so Distanz, Spielraum aber auch Empathie beobachtete der Kritiker 2016 in seinem Portrait des Malers Johannes Grützke. Beaucamp war mit Sicherheit auch noch etwas mehr als ein Spielverderber ....

03.11.2022
Michael Kröger
Jenseits der Avantgarden. Texte und Gespräche zur zeitgenössischen Kunst. Beaucamp, Eduard. Hrsg.: Knoche, Michael. Deutsch. 284 S. 21 x 12,3 cm. Gb. Wallstein Verlag, Göttingen 2022. EUR 22,00.
ISBN 978-3-8353-5286-5
 
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