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Wege der Kunst – Wie die Objekte ins Museum kommen

Es ist nicht einfacher, eine Rezension zu schreiben, wenn man – ausnahmsweise – nur schwärmen kann. Wo fangen wir also an, wenn es gilt, die Begeisterung zu teilen und sachlich nachvollziehbar zu machen?
Ein schönes Buch: Es ist eine Freude, den Band in die Hand zu nehmen. Von den goldenen Lettern auf dem Einband über die Griffigkeit des packpapierartigen Umschlagkartons und die Vorsatzpapiere ist die Neuerscheinung aus dem Schweizer Verlag Scheidegger & Spiess (wieder einmal) eine gestalterische und herstellerische Glanzleistung: Die Abbildungen stehen scharf und präzise auf dem offenen Papier, ein unaufdringliches Farbkonzept gliedert den Inhalt in die sechs großen Kapitel Erwerben, Sammeln, Zeigen, Handeln, Fragmentieren und Wissen.
Und: Es ist ein ungemein kluges Buch. Denn: Ja, wie kommen eigentlich die Objekte in die Museen? Wenn sich die Besucherinnen und Besucher an den Werken erfreuen, ist dieser gleichermaßen faszinierende wie grundlegende Prozess zumeist weitestgehend abgeschlossen. Insofern lohnt sich ein Blick darauf, wie Erwerbungsprozesse zustande kommen, wie Sammlungen entstehen, wie Objekte aus ihren ursprünglichen Kontexten herausgelöst und – durch die Präsentation im Museum – in neue Kontexte des Zeigens eingebettet werden.
Durch die Thematisierung dieser Prozesse, die durch die derzeitigen Debatten über Provenienz und den Zusammenhang westlicher musealer Sammlungen mit unserer kolonialen Vergangenheit eine allgegenwärtige Brisanz haben, ist die vom Zürcher Museum Rietberg herausgegebene Neuerscheinung aktuell und notwendig und erscheint zum richtigen Zeitpunkt. Und vor allem ist sie anschaulich. Denn durch die konkreten Beispiele aus der Sammlungsgeschichte des Museums lässt sich nachvollziehen, wie komplex die Geschichte und Geschichten der Objekte im Einzelfall sind. Sammeln, Ausstellen und Bewahren sind Teil unserer westlichen Kulturgeschichte. Die Spielarten und Tatbestände von Aneignung, Handel, Entkontextualisierung auf der einen und Erforschung auf der anderen Seite sind der Geschichte der Objekte eingeschrieben. Die Neuerscheinung über die Vielfalt der konkreten Wege der meist außereuropäischen Kunstobjekte macht diese Geschichte nachvollziehbar. Das kluge und nahezu notwendige Buch zeigt, dass dies weder die Objekte selbst leisten können noch die meist knappen Objektbeschriftungen an der Museumswand. Dafür bietet das Buch – und für die ausgewählten Werke und Objektbiografien – dieses Buch die optimale Form. Ein Beispiel: Die großartige „Königsmaske“ aus Kamerun gehört heute zu den enigmatischen Beispielen afrikanischer Plastik des Zürcher Museums. In den 1930er Jahren zierte sie die Wohnräume des Sammlers und Bankiers Eduard von der Heydt auf dem Monte Verità; das war längst bekannt. Doch wie gelangte das Stück der Bamileke aus der westafrikanischen Gemeinde Batcham in die Schweiz? Bis 1912 oder 1913 war sie Teil der königlichen Schatzkammer des Königreichs Batcham. Verkauft, getauscht oder geraubt gelangte sie über deutsche Kolonialbeamte an die Hamburger Firma J.F.G. Umlauff, die erfolgreich mit Naturalien und exotischen Kunstwerken handelte und die Maske in einem 1914 erschienenen Angebotskatalog offerierte. Carl Einstein nahm eine Abbildung des Stücks 1920 in sein epochemachendes Buch „Negerplastik“ auf und machte es damit für deutschsprachige Sammler begehrt. Über den Mannheimer Sammler Sally Falk und die Berliner Galerie Nierendorf gelangte die Maske in die Sammlung Von der Heydt, der sie dem von ihm gestifteten Museum Rietberg vermachte. Wertschätzung und Aneignung sind hier, wie in den meisten Fällen eng miteinander verbunden. Die Neuerscheinung macht diese und viele Geschichten lesbar.

03.12.2022
Rainer Stamm
Wege der Kunst. Wie die Objekte ins Museum kommen. Hrsg.: Tisa Francini, Esther; Csernay, Sarah. Deutsch. 440 S. 241 fb. 52 s/w-Abb. 27 x 17 cm. Pb. Scheidegger & Spiess, Zürich 2022. EUR 38,00. CHF 39,00
ISBN 978-3-03942-096-4   [Scheidegger & Spiess]
 
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