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Politische Ikonologie – Bildkritik nach Martin Warnke

Als am 11. Dezember 2019 der damals 82 jährige Kunsthistoriker Martin Warnke starb, war in der linksliberalen bundesdeutschen Kunstgeschichtswissenschaft eine Ära zu Ende gegangen.
Ein Revolutionär seiner Disziplin sei er gewesen hieß es damals sehr zu Recht im Deutschlandfunk.
Horst Bredekamp, sein bekanntester Marburger Meisterschüler, schrieb in der SZ einen emphatisch bewegten Nachruf. Er skizzierte dort die überragende intellektuelle Entwicklung Warnkes, der wie kein anderer - einzig mit Ausnahme des kürzlich verstorbenen Antipoden Warnkes, Hans Belting - seiner Disziplin frische politische Impulse vermittelte u.a. mit diesen Sätzen:

"Im Marburger Klima vollendete Martin Warnke seine in Münster absolvierte Habilitation zur Organisation der Hofkunst. Ebenso wie sein Buch zum Mittelalter "Bau und Überbau" sorgte diese Schrift für eine Sensation, weil sie der gängigen Kunstsoziologie etwas entgegenhielt, die in den Emanzipationsbewegungen des Bürgertums und dann der Arbeiterklasse den Motor der historischen Entwicklung zur Freiheit hingesehen hatte. In Warnkes Sicht waren die Künstler in den bürgerlichen Zunftverbänden Zwängen unterworfen, die sie erst am Hof abzustreifen vermochten. Es war eine Sozialgeschichte der Kunst, welche nicht mehr nur in Abhängigkeiten, sondern in Möglichkeiten dachte. " Horst Bredekamp (im Nachruf der SZ 11.12. 2019)

Der nun von Jörg Probst als Herausgeber verantwortete Band Politische Ikonologie. Bildkritik nach Martin Warnke vermittelt nun gerade auch für diejenigen, die sich erstmals mit der eindrucksvollen Bedeutung von Warnkes Lebenswerk vertraut machen möchten, eine in jeder Hinsicht gelungene Aufsatzsammlung. Programmatisch beginnt die Publikation mit dem erstmaligen Abdruck eines frühen Textes Warnkes, der sich – ungewöhnlich für die frühen 70er Jahren – mit der "Wiederentdeckung der Nazikunst" widmete. Die im Buch versammelten 15 Essays, die besonders auch die übergreifenden Lebensleistungen Warnkes in den Blick nehmen (so etwa der eindrucksvolle Aufsatz von Horst Bredekamp ("Politische Ikonologie", S,. 25-51) sowie Martin Bormuths wissenschaftshistorische Studie "Die Kunst der Kritik. Grundlegungen bei Martin Warnke "; (S. 87-109), zeigen bereits wie einzigartig die Bedeutung dieses Kunsthistorikers seit dem letzten Drittel des XX. Jahrhunderts in Deutschland und wohl auch über die Grenzen hinaus gewesen ist. "Warnkes Schriften und Auftritte waren immer Überraschungen. Es gibt keinen Aufsatz, und sei er noch so peripher, der nicht eine niemals zuvor gelesene Deutung und Idee aufweist. Dies betraf eine Fülle von Feldern der Landschaftsmalerei über die protestantische Medienkunst bis zur Aufklärung und Moderne. " (H. Bredekamp / Nachruf der SZ; 11. 12. 2009). Die weiteren Essays widmen sich vor allem Spezialthemen oder nehmen Fragestellungen auf, die mit Warnkes hochgradig inspirierten Forschungen in einem inneren Dialog stehen. So etwa die Frage nach einer heute zu leistenden "Ikonologie der Gegenwart" (Johannes von Müller), der hochgradig aktuellen Frage "Gibt es demokratische Ikonographien" (Nikolas Werner Jacobs) oder der ebenfalls zeitgenössischen Problematik einer "Ikonologie digitaler Bildevidenz" (Roland Meyer). Gerade in der zeitgenössischen Relevanz und Vielfältigkeit der hier verhandelten sozial-politischen Themen und der Verschränkung von Fragen politischer Ikonologie, methodisch-soziologische Dimensionen der Disziplin Kunstgeschichte und einer jeweils mit reflektierten kunsthistorischen Wissenschaftsgeschichte verknüpft diese Publikation auf ebenso spannende wie auch sachlich-informative Weise tiefe Einblicke in die durch Warnke angeregten Arbeitsgebiete. Es reiche, wenn man sich in seinem Leben mit mindestens einer historisch neuartigen Fragestellung auseinandersetze, so Warnke vor einigen Jahren in einem Interview. Die hier versammelten Texte demonstrieren nachdrücklich, auf welchen fruchtbaren Boden dieses nicht gerade geringe Anspruchsniveau inzwischen getroffen ist.

02.02.2023
Michael Kröger
Politische Ikonologie. Bildkritik nach Martin Warnke. Mit einem Originalbeitrag von Martin Warnke. Berndt, Daniel; Bredekamp, Horst; Bormuth, Mathias; Diers, Michael; Haffner, Dorothee; Horn, Hauke; Jacobs, Nicolas Werner; Lindern, Klara von; Meyer, Roland; Modes, Julia; Müller, Johannes von; Nestler, Nick; Probst, Jörg; Schober, Anna; Welzel, Barbara; Müller, Johannes von; Zeising, Andreas. Hrsg.: Probst, Jörg. 2022. 320 S. 97 fb. und 30 Abb. 24 x 17 cm. Br. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2022. EUR 49,00.
ISBN 978-3-496-01677-9   [Dietrich Reimer Verlag]
 
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