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Felix Nussbaum und die Holocaust-Kunst

Wir, die Betrachter, sind als damals zukünftige Mittäter angesprochen und wir die Betrachter sind die gegenwärtigen Interpreten eines Künstlers, von dessen Ermordung wir wissen und lange nichts wissen wollten. Wir können die Biographie eines Künstlers nicht von dessen Werk trennen – und trotzdem versuchen wir, dessen Kunst nicht bloß als historische Dokumente zu entwerten.

So lautet – stark zusammengefasst – eine zentrale Interpretation des Autors zu Felix Nussbaums ikonischem Bild "Selbstbildnis in der Mauerecke", das neben dem erschreckenden "Selbstbildnis mit Judenpass" zu den Ikonen der Holocaust-Kunst gehört. In dieser Interpretation steckt nicht nur die ganze Tragik des jüdischen, in Osnabrück geborenen und in Auschwitz ermordeten Künstlers Felix Nussbaum. Zur Geschichte der Rezeption dieses Künstlers gehört nicht nur, dass es Jahrzehnte dauerte, bis die Stadt Osnabrück die erhaltenen Werke dieses Künstlers wieder erinnerte und diesen 1998 ein vom Star-Architekten Libeskind ein eigenes Museum in Osnabrück einen Erinnerungsort zurückgab. Doch die inzwischen weltweite Anerkennung Felix Nussbaums dauert bis heute an. Nach wie vor ist die Rezeption Nussbaums gespalten. Kaumkötters umfangreiches Buch – eine Dissertation, die an der Universität Osnabrück entstand – leistet hier in vielerlei Beziehungen kunsthistorische und historische Aufklärungsarbeit. Er zeichnet präzise die zentralen Phasen der Nussbaum-Rezeption seit der Wiedererinnerung in den achtziger Jahren (vor allem in seiner Heimatstadt Osnabrück) nach. Sie kulminiert in der Frage, wie sich das tragische Schicksal, die Biographie Nussbaums und der Kunstanspruch seines Werkes zueinander verhalten – und vor allem: ob und wie es heute gerechtfertigt sein kann, diesen Zwiespalt im Kontext einer sogenannten Holocaust-Kunst neu zu verhandeln. Sehr zurecht weist der Autor daraufhin, dass Nussbaum gerade in den ersten Jahrzehnten seiner Wiedererinnerung einseitig als Opfer seiner historischen Verhältnisse in Nazideutschland bewertet wurde. Eine Anerkennung als Künstler, der sich mit Entwicklungen der internationalen Kunst-Moderne auseinandersetzte, wird von Kaumkötter dadurch in den Blick genommen, indem er auf die unterschiedlichen ästhetischen Klassizismen verweist, mit denen viele KünstlerInnen der Zwischenkriegskunst operierten.

Ein besonders aufschlussreiches Kapitel beleuchtet die Situation des Kunstmarktes um 1938 und Nussbaums erfolgreiche Bemühungen, seine Werke amerikanischen Sammlern zu verkaufen – und so an einer Karriere als internationaler Künstler zu feilen. Kaumkötter sieht in der Figur Nussbaums die Ambivalenz eines Künstlers, der einerseits als einer der wichtigsten Künstler der Shoa wahrgenommen wird und immer noch wird – und gleichzeitig und im Widerspruch hierzu versuchte sein Oeuvre in privaten Innensichten und in öffentlichen Kommentaren zu seiner barbarischen Zeit zu realisieren. Anders als in Deutschland werde die Holocaust-Kunst etwa in England inzwischen als Teil des Kanons der Moderne des XX. Jahrhunderts anerkannt. Es ist ein nicht unerhebliches Verdienst des Autors, die heute immer noch existierenden Ressentiments und blinden Flecken in der Rezeptionsgeschichte Felix Nussbaums und der weiteren Kontexte des Holocaust thematisiert zu haben. Überzeugend sind dabei vor allem Kaumkötters Einsichten zu den von Nussbaum thematisierten Opfer- und Täterperspektiven, die in dieser Komplexität erstmals gewürdigt werden. Dass der Autor dabei stellenweise über sein Ziel der Anerkennung des Künstlerstatus Nussbaums hinausschießt und gewagte kunstimmanent-formale Vergleiche etwa mit Goya, Rembrandt und Dix anstellt, ist dabei nicht durchgängig nachvollziehbar. Und dass die (deutsche) Kunstgeschichts-wissenschaft sich anders als etwa mit der NS-Kunst gerade der wenig definierbaren Holocaust-Kunst, wenn überhaupt nur mit großem Vorbehalt und spürbarer deutscher Scham, annimmt, wird sich zukünftig mit Kaumkötters wichtigem Beitrag hoffentlich ändern.

04.05.2023
Michael Kröger
Felix Nussbaum und die Holocaust-Kunst. Das Selbstbildnis mit Judenpass. Kaumkötter, Jürgen Joseph. Deutsch. 300 S. 130 Abb.24 x 16,5 cm. Gb. Wallstein Verlag, Göttingen 2023. EUR 49,00.
ISBN 978-3-8353-5029-8
 
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