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Nezaket Ekici

Der vorliegende Katalog dokumentiert ein umfangreiches und vielfältiges Werk, das sich aus Performances, Installationen, Fotografie und Video sowie dokumentarischem Material zusammensetzt. Die in Berlin lebende Künstlerin Nezaket Ekici erhielt in diesem Jahr für ihre Installationen und Performances, mit denen sie bereits international auf sich aufmerksam gemacht hat von dem Berliner Gaskonzern GASAG den Nachwuchsförderpreis.
Das Interesse Nezaket Ekicis gilt dem Erzeugen von Bildern, die in Zeit und Raum entstehen und die, unabhängig vom jeweiligen Sujet eine starke ästhetische Bildwirkung verbinden. Die Bilder aktivieren das Bildgedächtnis des Betrachters, indem sie Bezüge zu Werken der abendländischen Kunstgeschichte herstellen oder Assoziationen an religiöse und mystische Handlungen wecken. Insbesondere die Performances von Ekici kennzeichnen eine Strategie der Ästhetisierung, indem sie die Gewalt, der sich die Künstlerin oftmals aussetzt, zu verbergen suchen. Die Schmerzerfahrung, die Erfahrung der körperlichen Grenzen oder sogar ihrer Überschreitung bleibt bei der Künstlerin und wird nicht mit dem Publikum geteilt. So entsteht ein Bild sublimierter Gewalt, ein quasi religiöses Bild, dessen ästhetische Kraft auch aus der Überwindung körperlicher Grenzen resultiert.
In ihren Performances und Installationen wagt die in der Türkei geborene und in Deutschland aufgewachsene Künstlerin ein provozierendes Spie,l und doch blitzt aus jeder ihrer zwischen türkischen und deutschen Traditionen und Vorschriften hin und her pendelnden Installationen, ein Humor und ein Selbstbewußtsein auf, die tiefe Grenzen zu sprengen vermögen.
Seien es mit Kopftuch bekleidete Hula-Hoop-Reifen schwingende Frauen, oder sei es „Catch of a Turkish Kiss“, wenn die Künstlerin, bekleidet mit einem Ballkleid, die Augen von einer Schlafbinde bedeckt in mondäner Haltung auf einer Chaiselongue liegend die Besucher zu einem türkischen Kuss auffordert, sich jedoch jedem Annäherungsversuch entzieht, worauf es dann eine Stunde lang zwischen der Künstlerin und dem Publikum an Aufregung nicht mangelt.
Aber auch unabhängig von den Konflikten zwischen moslemischem und christlichem Kulturkreis hat sich Ekici, die bei Marina Abramovic an der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig die Meisterklasse besuchte, entschieden, stets an ihre Grenzen zu gehen, wobei neben den kulturellen auch die physischen Grenzen gemeint sind. Besonders eindrucksvoll geschieht das, wenn sie mit einem Business-Kostüm und Pumps bekleidet über einen 15 Meter langen Kunstrasen kriecht und das Gras abbeißt, schwere Anstrengung und Frau, das will nicht zusammenpassen. Und wenn allerdings Ekici den Versuch wagt, das Pinkeln der Männer auf die Frau zu übertragen, nimmt sie gleich zwei Wahrheiten auf. Zum einen funktioniert das bei den Frauen natürlich nicht so praktisch und darum wurde ihnen wohl auch nie ein „Pinkel-Denkmal“ gesetzt. Zum anderen wird dieser Akt zur schweren körperlichen Pein, wenn Ekici über 50 mit Wasser gefüllte Urinbeutel auf einer Stele stehend wie ein Kleid trägt und sie sich über Stunden und in Raten von dieser Wasserlast befreit, zielgenau in fünf bereitgestellte Eimer spritzt. Was ist ist da männlich und was weiblich?
„Das Abenteuer der Entdeckung liegt zwischen Nähe und Ferne (der Kulturen). Nezaket Ekici verdeutlicht dies mit dem Motiv der „Verhüllung“, das sich wie ein roter Faden durch ihr Œuvre zieht. Verhüllung ist immer auch Enthüllung. Kulturelle Muster verdecken, wie sie gleichzeitig auch schützen. Die kulturelle Reise ist bei Nezaket Ekici immer eine Reise der sinnlichen Überraschungen, die das Erlebnis beim Wort nimmt. Bis hin zur Aufgabe, kurz vor dem nächsten Aufbruch“. (Hans-Jörg Clement).
Ein spannendes Buch über eine mutige Künstlerin, die es bis zur Schmerzgrenze versteht, den einen wie den anderen Kulturen einen blitzsauberen Spiegel vorzuhalten.
17.2.2005
Gabriele Klempert
Nezaket Ekici. GASAG-Kunstpreis 2004. Beitr. Clement, Hans J. 79 S., 188 fb. Abb. 28 cm. Kunstfabrik am Flutgraben, Berlin 2004. EUR 12,-
ISBN 3-9808580-3-0
 
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