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Villa Schöningen an der Glienicker Brücke

Eingebettet in eine fast toskanisch anmutende Potsdamer Kulturlandschaft findet sich hier mit der Villa Schöningen zugleich ein bedrückend-deutscher Ort, in dem sich brennpunktartig nationale Geschichte, Villen- und Familiengeschichte seit 1840 widerspiegeln. Ursprünglich eher architektonischer Fixpunkt preußisch-königlich gestalteter Gartenlandschaft als funktional verstandenes Wohngebäude, fügt sich die im damaligen Zeitgeschmack umgebaute italienische Turmvilla in den durch Sichtachsen definierten Landschaftspark mit die Potsdamer Uferlandschaft nun wieder prägenden Gebäudeensembles ein. Darüber, aber auch zu Innenarchitektur und der Einrichtung der Villa, hätte man in diesem Buch gerne mehr gelesen – aber muss, musste an dieser einstigen Nahtstelle zwischen Ost (DDR) und West(-Berlin) nicht der Geschichte der Vorzug vor der Kunstgeschichte gegeben werden?
Gründe dafür finden sich in diesem Buch in zwei umfangreichen Beiträgen der früheren New York Times-Journalistin Katie Hafner. Mit dem Stilmittel der „Oral history“ zeigt sie uns ein personaliert-emotionales Geschichtstableau, auf dem wir hier - jedoch leider nicht auch im Museum- berührt Aufstieg, Exil und Rückkehr der jüdischen Berliner Besitzerfamilie (1880-1992) nach-erleben können. Hafners unbestechlicher, fast seismographisch-dichter Blick läßt uns auch die DDR-Kinderheimzeitatmosphäre der Villa (1951-1992) nachempfinden, mit all ihren Unsicherheiten, eindeutigen und widersprüchlichen Kinder- und Erzieherinnen-Befindlichkeiten in dem nach 1961 doppelt abgesperrten Heim am Todesstreifen. Auch das rührt an, ist aber doch auch so entfernt von uns wie die in Buch und Ausstellung mit schwarz-weiß Fotografien ausführlich dokumentierte Geschichte der villennahen Glienicker Brücke, amerikanisch-sowjetischer Agentenaustauschort im Kalten Krieg.

Farbtupfer finden sich nach 2007/2008: die nun privat sanierte (und zuvor verfallende) Villa wird seither mäzenatisch verstanden als öffentlich zugängliches Bindeglied zwischen deutsch-deutscher Vergangenheit und einem Gegenwartsort mit individueller Freiheit als Voraussetzung für die Entfaltung von (zeitgenössischer) Kunst. Die zeigt sich uns in Wechselausstellungen im Villen-Obergeschoß ebenso wie in dem gegenwartskünstlerisch bespielten Villengarten. Dort finden sich momentan „Spiele im Garten“, temporäre Objekt-Installationen, die zu Assoziationen einladen (auf der weißen Beton-Steinbank unter einer weißen Baum-Mondkugel), individuelle Vorstellungen von Unfertigem evozieren (der unvollendete Schornstein als ewige Baustelle) und an den villennahen Brücken-Agentenaustausch erinnern (akustisch, auf/an einer Sitzbank). Und unsere durch Migration geprägte Gegenwart symbolisieren mit Potsdamer Erde/Gras gefüllte osteuropäische Tragetaschen, so Zeitgeschichte auch mit Natur verbindend. Einem pragmatischen Kunstverständnis – der Vieldeutigkeit von Objekten- eröffnen sich hier individuelle Phantasiespiel-Räume, die bisher so nicht Gesehenes oder Verstandenes sichtbar werden lassen. Kein kleiner Gewinn an diesem Ort des hoffentlich auch künftigen Dialoges zwischen Kunst und Natur, Vergangenheit und Gegenwart.

30. 09. 2011
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Die Villa Schöningen an der Glienicker Brücke. [Berlin] Ein deutsch-deutsches Museum. Hrsg.: Döpfner, Mathias. 132 S., fb. Abb. Gb Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 2009. EUR 14,95
ISBN 978-3-89479-601-3
 
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