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Berlin Macher - sexy unbedingt!

Berlin begeistert und bewegt. Spätestens seit der (kaum noch) Regierende Bürgermeister die deutsche Hauptstadt als „arm, aber sexy“ bezeichnet hat, boomt die Metropole an der Spree. Besonders im Ausland ist Berlin beliebt wie nie zuvor. Oft hat man den Eindruck, es bevölkern mehr ausländische Besucher die City als Einheimische, wobei sich das ja ohnehin mischt. Berlin war schon immer eine Zuwandererstadt. Viele, vornehmlich junge Leute kommen, staunen und bleiben länger, als sie es eigentlich vor hatten.
Was also macht den Reiz der Stadt aus? Da ist zum einen ihre Historie, die ältere und die jüngere, beispielhaft und beispiellos, von einer sumpfigen Insel in der Spree, einem kleinen, aber stetig wachsenden Marktflecken, über den Sitz der Brandenburger Kurfürsten und Preußischen Könige, über den Hort nationalsozialistischen Größenwahns und Verbrechens, Pulverfass des Kalten Krieges bis zum Wendepunkt der deutschen und europäischen Geschichte, als die Mauer fiel und der Weg zu Einheit und Demokratie frei wurde. In diesem Jahr feiert Berlin das 775. Jahr seiner ersten urkundlichen Erwähnung, das gemeinhin als Jahr ihrer Stadtgründung gilt. Und das sind zum anderen ihre Menschen, die sie prägten und prägen, Frauen und Männer, die Berlin erst zu dem gemacht haben, was es heute ist. Bringen wir beides zusammen, die Menschen, die in Berlin und für Berlin Geschichte gemacht haben, und ihre Stadt, so sind wir beim Thema des Buches.
„Berlin Macher – 775 Porträts – ein Netzwerk“, so sein Titel, erschienen im Kerber Verlag, herausgegeben von der Stiftung Stadtmuseum Berlin, ist –wen wundert’s angesichts dieses Herausgebers- das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, die im Berliner Ephraim-Palais für eines der Glanzlichter im Rahmen der Feierlichkeiten zum Stadtjubiläum sorgte.
Nun ist das mit Büchern zu Ausstellungen natürlich so eine Sache. Für die einen, die die Museumspräsentation mit eigenen Augen gesehen haben, können sie Erinnerungen wach halten oder erneuern, aber für die anderen, die sie leider verpasst haben (und der Rezensent zählt zu jenen Unglücklichen), sollen sie so viel wie möglich, so anschaulich wie möglich, so eindringlich wie möglich das Besondere der Exposition festhalten. Ist das den Machern des Buches gelungen?
Ich meine, nur bedingt, aber das liegt auch an der außergewöhnlichen Konzeption der Ausstellung, die sich eben nicht eins zu eins in einem Buch wiedergeben lässt. Das Wort „Netzwerk“ im Titel deutet darauf hin, dass es nicht nur darum ging, Biographien von bedeutenden und weniger bedeutenden Berlinern chronologisch aneinander zu reihen (75 davon sind historische Persönlichkeiten und 700 repräsentieren das gegenwärtige Berlin), sondern diese so unterschiedlichen Lebensläufe auch miteinander zu verknüpfen. Die Generaldirektorin des Berliner Stadtmuseums, Franziska Nentwig, erklärt im das Buch einleitenden Interview diese Idee folgendermaßen (S. 10): „Unsere Komposition verbindet in 19 Modulen jeweils eine Hauptperson mit weiteren historischen Figuren – pro Raum zumeist drei Berliner aus verschiedenen Epochen. Diese Personen haben etwas gemeinsam, manchmal gar nicht auf den ersten Blick, sondern erst auf den zweiten, dritten oder sogar fünften. Die Gemeinsamkeiten können sehr konkret sein, aber ebenso frei assoziiert.“ Und da sich das ziemlich abstrakt liest, möchte ich ein entsprechendes Beispiel aus dem Vorwort der Hausgeber zitieren (S. 9): „Der Studentenführer Rudi Dutschke hatte mit der Salonière Henriette Herz das Bedürfnis nach gesellschaftsrelevanten Diskussionen, mit dem Philosophen Friedrich Schleichermacher das Charisma der Rede und mit der DDR-Rockmusikerin Tamara Danz die Methode öffentlichen Protests gemein.“
Ob diese interessante Herangehensweise in der Ausstellung selbst funktioniert hat, kann ich, wie angedeutet, leider nicht beurteilen. Sie in einer gedruckten Publikation wiedergeben zu wollen, scheint mir dann aber doch sehr schwierig. Bleiben wir beim zitierten Beispiel. Auf den Seiten 170 bis 177 werden die vier so unterschiedlichen Persönlichkeiten auf jeweils zwei Doppelseiten in Wort und Bild vorgestellt. Viel Platz bleibt da natürlich nicht, das Einzigartige dieser so verschiedenen Lebenswege darzustellen. Und auch die avisierten Bezüge jener vier zueinander bleiben auf der Strecke, abgesehen von der engen Freundschaft zwischen Henriette Herz und Friedrich Schleichermacher. Die einzelnen Kurzbiographien wirken wie schillernde Mosaiksteine, die sich dann noch nicht zu einem Gesamtbild fügen. Trotzdem wage ich ein positives Fazit: Die Lebensläufe der 75 vorgestellten historischen Berliner lassen sich gewinnbringend lesen, sehr interessant, manchmal sogar richtig spannend. Viel Neues erfährt man allemal. Und durch die abwechslungsreichen Illustrationen besitzt das Buch auch einen hohen Unterhaltungswert. So unterschiedlich das persönliche Wirken der hier Portraitierten für Berlin auch war, so haben sie doch wesentlich dazu beigetragen, aus Berlin das zu machen, was es heute ist: arm – darüber kann man streiten, aber sexy unbedingt!

09.12.2012

Mathias Ehrich
BERLINmacher.775 Porträts - ein Netzwerk.Hrsg.: Nentwig, Franziska; Bartmann, Dominik. zahlr. Abb. 28 x 21 cm. Pb. Kerber Verlag, Bielefeld 2012. EUR 30,00. CHF 42,00
ISBN 978-3-86678-665-3
 
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