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Zisterzienserreichsabtei Salem

Geschichtsinteressierte oder im Geschichtsunterricht aufmerksame Menschen werden mehr oder weniger in sich hinein gelächelt haben, wenn es hieß, dass anlässlich der Säkularisierung 1803 nicht nur die Reichsunmittelbarkeit der Reichsstädte oder Reichsritter, sondern auch diejenige der Reichsdörfer und Reichsklöster abgeschafft worden seien: Kleinstaatliche Privilegien offenbar, die sich bis ins Kleinste und Allerkleinste erstreckten. Wie anders nimmt sich dies aus, wenn wir das Terrain einer dieser Reichsabteien betreten, diese als einen wirklichen in sich geschlossenen geistlichen und wirtschaftlichen Organismus kennenlernen und die nach außen gerichteten Vermarktungs- und Handelsbeziehungen einer solchen Organisation detailliert vorgeführt bekommen: Geistlicher Mittelpunkt, absolutistisch angehauchte Residenz und Wirtschaftsbetrieb in einem. Eine der wohlhabendsten Reichsabteien Süddeutschlands war Salem, und Salem bietet sich auch heute noch als imponierend in sich geschlossene Einheit dar, deren architektonischer Bestand vom 13. und 14. Jahrhunderts bis hin zum Jahr 1802 reicht: Ein Musterbeispiel aller wesentlichen Phasen der Baugeschichte des „alten Reiches“.
Allen anderen Bauten voran ist die mehrschiffige Basilika mit Querhaus und ursprünglichem Hallenumgangschor zu nennen, das Münster, das als imposantestes hochgotisches Gotteshaus im heutigen Baden neben dem Freiburger Münster gelten kann. Ihm ist sehr zu Recht immer das größte Interesse an der Gesamtanlage zuteil geworden.
Die besondere Verwendung der Maßwerke, der neue Chorabschluss im beginnenden Klassizismus (ein übrigens früher Akt von einfühlsamer Denkmalpflege) wie auch die Dachwerke und deren Eindeckung sind monographisch untersucht und vorgestellt worden. Ulrich Knapps großer Kunstführer „Ehemalige Zisterzienserreichsabtei Salem“ fasst diese zum Teil eigenen Forschungen prägnant zusammen. Formale Neuerungen werden als Teil eines auch geistigen Wandels begreifbar. So wenn die Schlusssteine im Chorumgang nach 1298 (nämlich nach einem in diesem Jahr stattfindenden Generalkapitel, das die Schmuckfreude der englischen Zisterzen gerügt hatte), keine figürlichen Szenen aus der Lebensgeschichte Christi mehr zeigen (wie es die älteren Schlusssteine hier tun), sondern nur noch mariologische Pflanzensymbole. Oder wenn die unten als Blindfenster gestalteten Obergadenfenster nach außen von den Gewölben der Seitenschiffe zum Teil verdeckt werden, also eigentlich nur noch nach Innen wirkendes plastisches Dekor sind, nicht mehr wirksamer Teil der Fassadengliederung. Auch die besondere architektonische Betonung der Nordfassade des Münsters als eigentliche Eingangsseite für hochrangige Gäste weist Knapp kenntnisreich auch bei anderen Zisterzienserkirchen nach. Wie er denn überhaupt die Strukturen der baulichen Entwicklung der Abtei und ihrer herausragenden Kunstwerke in die großzügig gestalteten 64 Seiten hineinbringt, die zudem mit sehr repräsentativen Photos brillieren. Was der große Kunstführer Salem leider nicht mehr bietet, ist eine genaue Übersicht der dort beteiligten Künstler mit ihren übrigens oft nahegelegenen weiteren Werken. Diese sehr dichte Beschreibung von Künstlerviten im Telegrammstil war fester Bestandteil der älteren Fassungen der „großen Kunstführer“ des Schnell & Steiner Verlages z.B. auch für Salem, und entpuppte sich oft als wahre Fundgrube, die zu Exkursionen zu oft nahegelegenen weiteren Werken der gerade gesehenen Künstler führten.

Wer genauestens über Bautechnik und Baumaterialien des Salemer Münsters informiert sein möchte, der greife zu einem anderen Buch desselben Verfassers „Auf den Spuren der Mönche. Bauliche Zeugen der Zisterzinserabtei Salem zwischen Neckar und Bodensee“. Hier finden er nicht nur exakte Aufmessungen der Dachstühle bis hin zu Abbildungen einzelner Dachziegel (die aus der Zeit um 1300 stammen und heute zum Teil noch aufliegen!), sondern er kann den ganzen Radius der Klosterkultur und –wirtschaft dieses Klosters zwischen Neckar und Bodensee detailliert nachvollziehen. Die im wahrsten Sinne des Wortes landschaftsgestaltende Kulturleistung eines solchen „Imperiums“ wird anhand der Bautypen und Bauformen, der Wasserbauten, Straßen und Wege, Wallfahrtskirchen und - wegen und besonders durch einen Auswahlkatalog markanter Bauten des Klosters überall im Land greifbar. Man sieht die Bodenseeregion mit anderen Augen, wenn man weiß, dass die Grangien, also die Eigenwirtschaftbetriebe des Klosters, sich oft als eine die Gebäude um einen Mittelpunkt konzentrierende Anlage verdichten und sich damit von der ansonsten eher kleinteilig bewirtschafteten und besiedelten Kulturlandschaft abheben. Um diese Grangien mit Arbeitskräften zu bevölkern, mussten aus den nahegelegenen Dörfern oft Bewohner abgezogen werden, wodurch das Umland entvölkert wurde. Noch heute sind diese landwirtschaftlichen Großbetriebe (auch da wo sie gar nicht mehr existieren) anhand der großen ungeteilten landwirtschaftlichen Flächen erkennbar, die sie umgeben. Lehenshöfe und Seldnerhäuser, wie sie das Buch beispielhaft vorstellt, verbinden sich heute auch nicht mehr unmittelbar mit der Vorstellung von Klosterkultur und geistlichem Leben. Am markantesten sind die Pfleghöfe des Klosters in den (gar nicht immer benachbarten) Städten, die der Warenlagerung und dem Vertrieb, aber auch der Repräsentanz des Klosters galten. Salem besaß solche von Ulm bis nach Salzburg. Der „Salmansweilerhof“ in Esslingen knüpft nach seiner Lage und auch wohl in seinem Erscheinungsbild an die Tradition der dortigen staufischen Pfalz an, der Ulmer Pfleghof wurde 1794/95 noch klassizistisch umgestaltet. Hiermit wird ein Kapitel berührt, das eine andere Hochblüte Salems bezeichnet: Die ganz am Ende der Reichsabteizeit stehende Hinwendung zum Klassizismus, zu einem Klassizismus früher Prägung, der das Münster stilistisch überformt ohne den gotischen Gesamteindruck zu tangieren. Diese sehr frühe Hinwendung Salems zum neuen Stil wird mit einer Reise Abt Anselm II. 1765 nach Dijon in Verbindung gebracht, wo jener vor dem obersten burgundischen Gerichtshof den Generalabt von Citeaux in einer Auseinandersetzung mit den vier Primäräbten zu unterstützen hatte. Ebenso beachtenswert ist allerding: Michel d´Ixnard wirkte seit 1765 wohl am nahegelegenen Schloss Königseggwald planend mit. Und d´Ixnard ist der Erbauer von St. Blasien. Was auch immer die Gründe für den abrupt spürbar werdenden Stilwandel gewesen sein mögen. Es ist offenbar der französische Impuls, der hier durch den Bildhauer Johann Georg Wieland eine Wende herbeiführt, der die so konsequent stereometrisch gestalteten Altäre in deutlichen Widerspruch zu der bewegten Gebärden- und Gewandsprache der auf ihren stehenden freiplastischen Figuren treten lässt. Der Geist des Übergangs wird greifbar. Aber auch die skulpturale Prachtentfaltung ist bereits in Auflösung begriffen, und man muss nicht einmal allzu genau hinsehen, um zu erkennen, dass hier Gestus und Habitus der Skulpturen nicht mehr jene Fülle und damit jene Sicherheit haben, mit der das Barock sie ausbildet.

Knapp, Ulrich: Auf den Spuren der Mönche. Bauliche Zeugen der Zisterzienserabtei Salem zwischen Neckar und Bodensee. Hrsg. v. Kulturamt Bodensee, Kulturamt. 2009. 336 S., 350 fb. Abb., 350 fb. Abb. 21 x 13 cm. Pb EUR 19,90 978-3-7954-2247-9

27.01.2013
Jörg Deuter
Ulrich Knapp. Salem. Ehemalige Zisterzienserreichsabtei. Abb. von Ulrich Knapp und Toni Schneiders. 64 S., 2sw. u. 47 fb. Abb. 24 x 17 cm, Br. Schnell & Steiner, Regensburg 2007. EUR 9,90 CHF 13,90
ISBN 978-3-7954-1997-4   [Schnell & Steiner]
 
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